© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Plötzlich gibt es keinen Favoriten mehr
Präsidentschaftwahl in der Tschechei: Die Wähler straften Amtsinhaber Miloš Zeman ab / In der Stichwahl setzt der Westen auf Jirí Drahoš
Paul Leonhard

Miloš Zeman, amtierender tschechischer Staatspräsident, und sein Herausforderer, der parteilose Chemieprofessor Jirí Drahoš, werden sich vor der Stichwahl in zwei Fernsehduellen messen. Nach diesen können die knapp 8,4 Millionen Wahlberechtigten am 26. und 27. Januar endgültig entscheiden, ob sie dem politisch erfahrenen, rhetorisch begabten Zeman oder dem Seiteneinsteiger Drahoš, der seine Kandidatur als „riesiges Abenteuer“ bezeichnet, ihre Stimme geben. 

Die Wahl gilt auch als Test, ob die Stimmung in der Tschechei noch immer eher EU-skeptisch ist oder ein proeuropäischer Kurs bevorzugt wird, für den der ehemalige Vorsitzende der tschechischen Akademie der Wissenschaften Drahoš steht.

Die meisten Journalisten hoffen auf letzteren. Für sie ist Zeman ein „böhmischer Trump“. Daß eine Aktivistin der ukrainischen Frauengruppe Femen mit nacktem Oberkörper und dem Ruf „Zeman – Putins Schlampe“ auf den Präsidenten zugestürzt war, als dieser gerade seine Stimme abgeben wollte, fand durchaus Beifall. 

 Angesichts der Berichterstattung insbesondere im Fernsehen habe man den Eindruck bekommen können, daß nicht er, sondern ein anderer Kandidat die erste Wahlrunde gewonnen hätte, konstatierte der 73jährige Zeman, der 38,59 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Der 68jährige Drahoš erzielte 26,59 Prozent, gefolgt vom Diplomaten Pavel Fischer mit 10,22 Prozent. Alle anderen Kandidaten blieben im einstelligen Bereich.

Daß Zeman erklärter Zuwanderungsgegner ist, gegen die Rußland-Sanktionen polemisiert, an guten Kontakten zu China interessiert ist und unverdrossen an Premier Babiš (Ano-Partei) festhält, bringt ihm im linksliberalen Lager heftige Kritik ein. So erhielt Drahoš in der Hauptstadt Prag die meisten Stimmen, während sich Zeman als Kämpfer für die kleinen Leute in allen anderen Wahlkreisen durchsetzen konnte.

Trotzdem ist seine Wahl längst nicht gewiß. Zeman weiß um die Vorliebe seiner Landsleute, den Favoriten im zweiten Wahlgang abzustrafen. Erschwerend kommt dazu, daß die Gewerkschaften, die Zeman bei der Präsidentenwahl vor fünf Jahren unterstützt hatten, diesmal neutral bleiben. Man werde keinen Kandidaten empfehlen, teilten die Vertreter von CMKOS und ASO mit. Die deplazierten Kandidaten Marek Hilšer, Michal Horácek und Mirek Topolánek wollen Drahoš unterstützen. Babiš bleibt zwar auf Seiten Zemans, mahnt diesen aber zu einer außenpolitischen Kurskorrektur. Der Präsident müsse sich klar zur Westorientierung des Landes bekennen. 

Ein Geben und Nehmen. Denn die Regierung Babiš scheiterte am Dienstag bei der Vertrauensfrage im Abgeordnetenhaus. Laut Verfassung muß das Kabinett nun zurücktreten, berichtet Radio Prag. Doch bis der Staatspräsident einen neuen Premierminister ernenne, bleibe Babiš weiter geschäftsführend im Amt. Zeman, so Radio Prag weiter, habe aber bereits angekündigt, Babiš noch eine zweite Chance zur Regierungsbildung zu geben.