© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Raus aus der Wüste
Saudi-Arabien: Mit Zuckerbrot und Peitsche will der 32jährige saudische Thronfolger sein Land für die Zukunft rüsten
Marc Zoellner

Noch steht kein Haus, wo sich in wenigen Jahren die modernste Metropole des Erdballs befinden soll: Nur karge Sandwehen und schroffe Felsen prägen die unwirtliche, im Dreiländereck zwischen Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten gelegene Einöde am Ufer des Roten Meeres. Doch glaubt man der Ankündigung Mohammed bin Salmans, ist der Weg von der Wüste zur Utopie nur noch wenige Schritte weit. Denn „Neom“, so präsentierte der 32jährige saudische Kronprinz seine Modellstadt auf einer Riader Wirtschaftskonferenz dem internationalen Publikum, sei nichts weniger als „das ehrgeizigste Projekt der Welt“ – ein Handels- und Industriezentrum, umgerechnet von der Fläche Brandenburgs, mit voll automatisierten Dienstleistungs- und Mobilitätsabläufen, von Rechnern und Robotern gesteuert, die ihre Bedürfnisse einzig aus regenerativer Energie, aus Wind- und Solarkraft speisen und somit keinerlei Verschmutzung erzeugen.

Kein Skrupel vor Säuberungsaktionen

Perfekt paßt Neom dabei in jenes Bild, welches der junge, zumeist lächelnde Thronfolger von seinem Land zu zeichnen sucht: am „sichersten, ertragreichsten und besten Ort zu leben und zu arbeiten“, wird bin Salman derzeit nicht müde, seine Vision anzupreisen, welche „von 70 Prozent der Weltbevölkerung binnen acht Stunden“ erreicht werden könne und zudem als Brückenkopf zwischen den Kontinenten Asien und Afrika dienen soll. Mit dem Nachbarstaat Ägypten wurde tatsächlich bereits eine echte Brücke über das Rote Meer avisiert – im bilateralen Vertrag, dem ersten außenpolitischen Erfolg Prinz Salmans, in welchem Ägyptens Präsident as-Sisi trotz der Proteste vieler Ägypter den Saudis im Juni 2017 die vorab zwischen beiden Ländern umstrittene Rotmeerinsel Tiran übertrug.

Seine neue Metropole, so der beseelte Wille des jungen Thronfolgers, soll künftig Vorreiter sein für Saudi-Arabiens wirtschaftlichen Wandel fort von einer reinen Petronation. 

Hierbei läßt sich der ambitionierte Kronprinz weder von innerstaatlichen Kritikern abschrecken noch von den horrenden Kosten. Denn mit den veranschlagten 500 Milliarden US-Dollar, die für die Errichtung Neoms benötigt werden, dürfte Salmans neue Metropole nicht nur zu den ehrgeizigsten, sondern vor allem auch zu den teuersten Projekten der Welt gehören. Doch alles zu seinem Vorteil: für Saudi-Arabien, das dringend nach Ausstiegsmöglichkeiten aus seiner vom Weltpreis abhängigen Erdölindustrie hin zur Diversifikation sucht; für Prinz Salman, dem Neom als einer der künftigen Eckpfeiler seiner unumschränkten Alleinherrschaft im saudischen Könighaus dienen soll.

Diese stand von Beginn an auf tönernen Füßen: Denn bis zum 20. Juni 2017 galt Mohammed lediglich als Zweitpositionierter in Fragen der Thronfolge. In einem spektakulären Streich am Hofe, den Mohammed gemeinsam mit seinem Vater, dem amtierenden saudi-arabischen König Salman ibn Abd al-Aziz, organisiert hatte, veranlaßte Mohammed bin Salman seinen 26 Jahre älteren Cousin – und damals Anwärter Nummer eins auf den Thron – Mohammed ibn Naif, vom einflußreichen Posten des Innenministers zurückzutreten und stellte ihn unter Hausarrest. Auf „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ lautete die Beschuldigung. Gleich zwei Verhaftungswellen folgten jener Arretierung ibn Naifs bis zum November 2017. Fast 200 innenpolitische Verbündete des geschaßten Cousins wurden von den Sicherheitsbehörden des Landes festgenommen und unter Anklage gestellt, darunter mehrere Adlige, der Chef der Nationalgarde sowie der Bruder Osama bin Ladens, Bakr bin Laden, der als Vorsitzender der Saudi Binladin Group zu einem der bedeutendsten Wirtschaftsmagnaten des wahhabitischen Königreichs zählt.

Ein „beunruhigendes Muster ausgedehnter und systematischer willkürlicher Verhaftungen und Festnahmen“ bescheinigte jüngst Anfang Januar dieses Jahres auch ein Gremium an UN-Menschenrechtsexperten der Ölmonarchie. Nicht unbedingt aufgrund der 200 prominenten Staatsbürger Saudi-Arabiens, die seitdem, sofern sie das Gros ihrer Vermögen nicht bereits der saudischen Regierung überschrieben haben, in einem Riader Luxushotel festgehalten werden. Doch die im September stattgefundenen landesweiten Säuberungen trafen auch Bürgerrechtler aus der Zivilgesellschaft: Gut 60 Schriftsteller, Journalisten, Geistliche und Akademiker harren seitdem ihrer Anklage. Nicht wenige der Beschuldigten dürfte nach dem Prozeß die Todesstrafe erwarten, mahnt auch die britische Menschenrechtsorganisation „Reprieve“, die allein im vergangenen Jahr für Saudi-Arabien über 141 Hinrichtungen zählt; siebzig Prozent davon unter der Verantwortung Mohammed bin Salmans.

Plötzliche Weltoffenheit überrascht den Westen

Dieser gibt sich nach außen betont moderat, spricht von der Reformierung des Landes unter seiner Ägide sowie von der schrittweisen Transformation Saudi-Arabiens hin zu einem modernen, weltoffenen Land. Einem Staat, in welchem Frauen ab kommendem Juni Auto fahren dürfen; an dessen Rotmeerküste überdies gigantische Badeparadiese entstehen sollen – Resorts für die Masse westlicher Touristen, mit eigenen, vom Rest des Landes abweichenden Gesetzen, die den Genuß von Alkohol und das Tragen von Bikinis gestatten. 

Es ist ein Ringen nicht nur um die Sympathien der westlichen Wertegemeinschaft für den ansonsten absolutistischen Herrschaftsanspruch des jungen Kronprinzen, der sich gern volksnah als „nur einer von 32 Millionen Saudis“ präsentiert. 

Bin Salmans „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik soll ebenso seine militärischen Verbündeten bei der Stange halten, gerade in jenem seit längerem schwelenden Konflikt mit dem schiitischen Iran, dem eingeschworenen Erzrivalen Riads, dessen Dominanz im Nahen Osten bin Salman seit seiner Amtszeit als saudischer Verteidigungsminister zu brechen versucht. Sowie in den blutigen Stellvertreterkriegen im Jemen und in Syrien, wo der um die Liberalisierung und Weltoffenheit Saudi-Arabiens werbende Kronprinz gern auch schon radikale Salafistenmilizen wie die Ahrar al-Scham sponsert – die ihrerseits wiederum für die Errichtung eines streng sunnitischen Gottesstaates nach saudischem Vorbild auf syrischem Boden kämpft.