© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Olympia führt zusammen
Nord- und Südkorea: Ermutigende Zeichen der Annäherung, doch Wunder sind nicht zu erwarten
Detlef Kühn

Nach dem Zweiten Weltkrieg endeten 1945 in Europa und Ostasien zwar die Kampfhandlungen. Von einem dauerhaften Frieden konnte aber keine Rede sein. Für die nächsten 45 Jahre herrschte ein angeblich „kalter“ Kriegszustand, der vor allem im geteilten Deutschland für Jahrzehnte die Gefahr eines Schießkriegs durchaus real erscheinen ließ.

In Ostasien gab es nach der Niederlage Japans vergleichbare Entwicklungen. Der Südteil der Koreanischen Halbinsel, die bis dahin eine Kolonie Japans war, wurde von den USA besetzt. Da sie nicht genügend Bodentruppen zur Verfügung hatten, lud US-Präsident Harry S. Truman den damals verbündeten Josef Stalin ein, sich an der Besetzung im Nordteil der Halbinsel Korea zu beteiligen, was der Diktator nur zu gerne tat, obwohl er sich bis dahin im japanisch-amerikanischen Krieg neutral verhalten hatte.

Wiedervereinigung  Deutschlands als Modell

Zur Grenze der Einflußgebiete wurde der 38. Breitengrad bestimmt. Stalin zögerte nicht, in „seinem“ Teil Koreas ein kommunistisches Regime unter Kim Il Sung einzusetzen, das sich zu einem Familienunternehmen entwickeln sollte. Kim war von Anfang an entschlossen, sich auch den Süden militärisch zu unterwerfen, was ihm Stalin nach einigem Zögern 1950 auch ermöglichte.

Der drei Jahre währende und äußerst brutal geführte Bürgerkrieg hat bis heute kein förmliches Ende gefunden. Es gibt nur ein 1953 mühsam ausgehandeltes Waffenstillstandsabkommen, das einen Gefangenenaustausch ermöglichte. Es wurde in einer Baracke im Dorf Panmunjeon unterzeichnet, das auch heute noch im Mittelpunkt des Interesses aller Beteiligten steht. Dies sind auf der Seite des Südens vor allem die inzwischen längst von ihrer anfänglichen Naivität geheilten Amerikaner, die Vereinten Nationen, die mit einem umfangreichen Expeditionskorps in die Kämpfe eingegriffen hatten, sowie auf der Seite des Nordens neben den Sowjets vor allem die Volksrepublik China, die mit Millionen Soldaten damals das Regime Kim Il-sungs vor dem Untergang bewahrt hatte.

Diese Konstellation, zu der im Laufe der Zeit noch Japan stieß, bestimmt auch heute noch machtpolitisch das Geschehen auf der Koreanischen Halbinsel. Der Norden und der Süden waren politisch nie allein. Insofern gab es Parallelen zum geteilten Deutschland, an dem sich die vier Siegermächte ebenfalls ihre Rechte aus der kriegerischen Besetzung vorbehalten hatten. Die ähnlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Korea führten seit den achtziger Jahren zu einem regen Meinungsaustausch auf Regierungs- und Beamtenebene.

Die Teilung des Landes war in Korea noch brutaler als in Deutschland. Ein wichtiger Unterschied war, daß trotz staatlicher Teilung mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl die Deutschen in Ost und West sich nie völlig aus den Augen verloren. Auch über den Rundfunk blieb man in Verbindung. Reisen in die DDR waren Westdeutschen (nicht West-Berlinern) praktisch immer möglich und wurden vom Staat nach Kräften gefördert. In Korea ist das bis heute nicht möglich und auch im Süden strafbar.

Ende der neunziger Jahre versuchte in Südkorea der linksliberale Präsident Kim Dae-jung unter dem Eindruck der deutschen Wiedervereinigung, mit einer „Sonnenschein-Politik“ an die Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel anzuknüpfen. Ihm und seinem Nachfolger Roh Moo-hyun gelang es, auf verschiedenen Ebenen Arbeitskontakte zur Führung in Pjöngjang herzustellen. Die größten Erfolge waren die Einrichtung einer gemeinsam betriebenen Sonderwirtschaftszone in der nördlich der Grenze gelegenen Stadt Kaesong, wo südkoreanische Firmen etwa 40.000 Nordkoreaner beschäftigten, sowie die Einrichtung eines allerdings streng bewachten Erholungsgebietes für südkoreanische Urlauber in einer landschaftlich reizvollen Gebirgsregion im Norden. Beide Projekte waren für die Machthaber im Norden höchst willkommene Devisenbringer.

Statt diese noch auszubauen, hat die 2017 abgewählte konservative Präsidentin Park sie unter dem Eindruck der nordkoreanischen Atompolitik jedoch beendet. Ihr Nachfolger, der im vergangenen Jahr gewählte Präsident Moon Jae-in hat angekündigt, diese Projekte wiederbeleben zu wollen. Deshalb versucht er, die seit 2015 auf allen Ebenen abgebrochenen Gesprächskontakte wieder aufzunehmen. Einen ersten Erfolg brachte das Treffen von nord- und südkoreanischen Delegationen am 9. und 15. Januar in Panmunjeon.

Danach steht fest: Nordkorea wird an den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyongchang teilnehmen und sogar eine 140köpfige Künstlergruppe entsenden. Einzelheiten sind noch zu klären. Die früheren Kontakte auf militärischer Ebene werden wieder aufgenommen. Dafür ist die grenzüberschreitende Telefonleitung im Grenzort Panmunjeom wieder aktiviert worden. Weitere Pläne, etwa die Wiederaufnahme von Treffen geteilter Familien, können erörtert werden.

Das ist erst einmal ermutigend. Ob es jedoch gelingt, dauerhaft an die „Sonnenschein-Politik“ vergangener Jahre anzuknüpfen, ist zweifelhaft. Die beharrliche Raketen- und Atompolitik des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un hat vieles verändert. Er will in dieser Frage nur noch „auf Augenhöhe“ vor allem mit den USA verhandeln. Die amerikanischen Sicherheitsgarantien bleiben aber für Südkorea lebenswichtig. In der Frage der Wiedervereinigung, die der Norden wie der Süden offiziell anstreben, sind ebenfalls keine Wunder zu erwarten. Nicht nur die Südkoreaner untersuchen sorgfältig die Umstände der Wiedervereinigung Deutschlands. Auch die Kommunisten im Norden haben mit Sicherheit analysiert, welche „Fehler“ der Genossen in Ost-Berlin zum Kollaps der DDR geführt haben könnten, und sind entschlossen, diese zu vermeiden.






Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts und zuvor lange Jahre Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion in Bonn.