© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Jenseits der irdischen Welt
Das Leben als Traum: Rolf Schilling hat einen neuen Gedichtband vorgelegt
Rainer Hackel

In seinem neuen Gedichtband „Im Spiegel der Blitze“ erweist sich Rolf Schilling einmal mehr als der große Außenseiter der deutschen Gegenwartsliteratur, der sich Zeitströmungen konsequent verweigert – und seit Jahrzehnten ein Werk schafft, das die Werke zahlreicher von der Kritik gefeierter und mit Preisen überhäufter Autoren am Ende überleben wird. Gut auch, daß der Dichter nach langen Jahren wieder zum Arnshaugk Verlag zurückfand, der den neuen Band als Teil der bibliophilen Gesammelten Werke herausbrachte. 

Es mag das Totschweigen Schillings durch die literarische Öffentlichkeit sein, das den Dichter zuweilen dazu anregt, seine Autorschaft zu thematisieren. So finden sich auch im neuen Gedichtband Verse der Selbstvergewisserung. Die Aufgabe des Poeten bestehe nicht nur darin, den Lauten und Worten „durch Fügung einen Sinn“ zu geben und „den Hauch aus Zauberhorten zu goldnen Mustern“ zu spinnen, sondern der Dichter glaubt auch eine Veränderung seines Gesanges wahrzunehmen, der früher „nichts als Rausch und Verzehr“ war. Nun aber „schreitet ein Gott vor dir her“, heißt es im Tonfall Stefan Georges.

In der Tat spricht aus Schillings neuen Gedichten eine göttliche Heiterkeit, mit welcher der Dichter die irdische Welt überwunden hat, um nun endgültig in der Welt des Traums seine Heimat zu finden. Denn allein dem Traum gilt Schillings Sehnsucht, und auch die Geschichte wäre für ihn ohne Belang, „wenn sie den Traum nicht nährt“. 

Da für Schilling Natur, Religion und Geschichte nur dann Bedeutung gewinnen, wenn sie sich zum Traum verdichten, sind ihm Vorbehalte gegenüber anderen Kulturen fremd, denen er auch im „Spiegel der Blitze“ poetische Besuche abstattet. Wird der Leser zunächst Zeuge des Gesprächs zwischen dem „Engel der Verkündigung“ und der Gottesmutter Maria, so wird er gleich im nächsten Gedicht eingeladen, den Propheten Mohammed auf seinem Flug „durch die sieben Himmel“ zu begleiten. Dem Dichter, der sich weder zum Christentum noch zum Islam bekennt, kann alles unverhofft zur Quelle des poetischen Traums werden, der uns von der Erdenschwere erlöst – sei es der Kyffhäuser und die Goldene Aue, sei es die Messingstadt oder die ägyptische Geiergöttin Nechbet, der er sieben Gedichte gewidmet hat. 

Aber auch die Natur wird dem Dichter zur Traumwelt, die den Leser vielleicht am tiefsten berührt. Das gilt für das lautmalerisch virtuos komponierte „Frosch-Concert“ – „Es glubbert und grummelt/ Es glitzert und gleißt/ Wer hier sich verbummelt/Wird heiter im Geist“ –, und für die wie Nebelschwaden wallenden Pusteblumen im gleichnamigen Gedicht. Vor allem aber gilt es für das wunderbar melancholische Gedicht über den Waldkauz, der als „Tods Verkünder“ gilt und dem Dichter zu einer Zeit erscheint, in der „Sanges Flut verrann“ und ihm – wie dem „auf hoher Warte“ ergrauten Vogel – „der Mut“ sank. Und es nimmt nicht wunder, daß im Augenblick der Todesverkündung auch der poetische Traum erstirbt, den zu beschwören der Dichter ein Leben lang nicht müde wurde: 

„Kein Hauch von Busch und Tann –

Sein Auge nur in Trauer

Löscht, was dir Traum und Schauer

Und was die Parze spann –

Der Waldkauz schaut dich an.“

Rolf Schillings so bedeutendes poetisches Werk ist fraglos einer Verfallszeit geschuldet, in der Werte und Sinngebungen ihre Glaubwürdigkeit verloren haben und allein noch der poetische Traum die durch den Nihilismus geschlagenen Wunden zu heilen vermag.

Rolf Schilling: Im Spiegel der Blitze. Gedichte. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2017, gebunden, 287 Seiten, 28 Euro