© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Von emotionaler Bedeutung
Vierbeiner müssen draußen bleiben: Eine Ausstellung im Hygiene-Museum Dresden beschäftigt sich mit „Haustieren und ihren Menschen“
Paul Leonhard

Tiere sind in jeder Hinsicht Teil der Familie. Mit diesem Satz feierte die italienische Tierschutzorganisation LAV ihren Sieg in einem bizarren Streit: Eine alleinstehende Angestellte der römischen Universität hatte bezahlte freie Tage für die Versorgung ihres kranken Hundes „Cucciola“ beantragt. Ihr Arbeitgeber hatte das abgelehnt. Nachdem sich die Tierschützer einschalteten, lenkte er schließlich ein und genehmigte der Frau zwei bezahlte freie Tage. Dieser Fall ist nur die Spitze einer Bewegung. Tierrechtler streiten nicht nur seit Jahrzehnten für ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Mensch und Tier, sie fordern sogar Bürgerrechte für Tiere.

Rund 30 Millionen Haustiere leben nach einer Statistik aus dem Jahr 2016 in deutschen Haushalten: Katzen, Hunde, Vögel, Nagetiere, Zierfische und andere Arten. Für ihre Besitzer sind sie oft sehr wichtig, sind vollwertiges Familienmitglied, stummer Vertrauter, ein natürliches, irgendwie wildes Wesen mitten im Wohn- oder Kinderzimmer und ganz nebenbei ein willkommener Anlaß, mit wildfremden Menschen ins Gespräch zu kommen. Gegner der Heimtierhaltung argumentieren, daß die Tiere lediglich dazu benutzt würden, emotionale oder soziale Probleme auszugleichen oder bestreiten ganz das Recht des Menschen, Tiere für seine Zwecke zu züchten und einzusperren.

Welche Konsequenzen eine völlige Gleichberechtigung zwischen den Spezies hätte und ob Menschen den Tieren überhaupt gerecht werden können oder lediglich die eigenen Vorstellungen von einem glücklichen Leben auf sie übertragen, sind zwei der Fragen, denen das Deutsche Hygiene-Museum Dresden in der großen Sonderausstellung „Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen“ nachgeht und zu der – soviel zur Ironie der ganzen Thematik – Vierbeiner keinen Zutritt haben.

Züchtungen führen zu gesundheitlichen Problemen

Zwar stellen sich die Kuratoren nicht der Frage, wie einem vor dem Gebäude zurückgelassenen Hund zumute ist, der sein Herrchen im Museum verschwinden sieht, aber sie fragen immerhin ganz am Ende des Ausstellungsrundgangs: Was sieht der Wellensittich im Spiegel? Wie fühlt sich der Fisch im Wasser? Unter Einsatz von Virtual-Reality-Technik vollzieht hier die Schau einen Perspektivwechsel. Der Besucher kann in einem Käfig in Zeitlupe – die Vögel erfassen wesentlich mehr Bilder pro Sekunde als der Mensch – oder mit einer speziellen Brille in einem Aquarium darüber spekulieren, wie Heimtiere ihre Umwelt wahrnehmen und wie es ihnen mit uns Menschen geht.

Mit der Ausstellung wolle man die Besucher, egal ob sie mit Tieren zusammenleben oder nicht, berühren und unterhalten, vor allem aber zum Nachdenken über ihr eigenes Verhältnis zum Heim-Tier anregen, sagt Klaus Vogel: „Die emotionale Bedeutung ist kaum zu überschätzen.“

Der Museumsdirektor erinnert daran, daß Nutz- und Arbeitstiere weitgehend aus den Groß- und Kleinstädten verschwunden sind und die meisten Menschen fast nur noch mit Heimtieren in Berührung kommen. Wobei der Umgang mit ihnen viel über ihre Frauchen und Herrchen, über deren Sehnsüchte, Sorgen, Wünsche und Ängste aussagt. Denn in der Beziehung zu den Tieren sitzt der Mensch eindeutig am längeren Hebel. Er kann die Beziehung steuern und beenden. Kuratorin Viktoria Krason spricht von „Asymmetrie und Machtgefälle“, die zwischen Mensch und Haustier herrschen, Kurator Christoph Willmitzer mahnt: „Es tun sich ganz schnell Abgründe auf.“ Auch deswegen würden die Bedingungen, unter denen Haustiere gehalten werden, zum Prüfstein einer ganz persönlichen Moral.

Hinterfragt werden Begriffsgruppen wie Nähe und Ferne, Verstehen und Mißverstehen, Identifizieren und Abgrenzen, Unterwerfung und Unberechenbarkeit sowie Treue und Verantwortung. Jährlich werden mehr als 300.000 Haustiere in deutschen Tierheimen abgegeben, weil sie die Erwartungen ihrer Besitzer nicht erfüllen, ihre Freiheit einschränken oder mit zu hohen Kosten verbunden sind.

Die Besucher erwartet ein spannender Rundgang über 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche, auf dem nicht nur 68 faszinierende und seltene Tierpräparate zu sehen sind, sondern rund 200 weitere Objekte: historische Dokumente, altertümliche Vogelkäfige und Aquarien, Porzellanfiguren, historische Drucke, Fotografien, Gemälde, zeitgenössische Kunstwerke und Videoinstallationen.

Die in drei Bereiche gegliederte Schau setzt dabei im 19. Jahrhundert ein, als das Nutztier mit der Industrialisierung aus den Städten verschwindet und das Haustier massiv auftritt. Schon zuvor hatte das sich herausbildende selbstbewußte und finanzkräftige Bürgertum bisherige Privilegien und Statussymbole des Adels übernommen, darunter das, sich kuschelige Schoßhunde zu halten, sich mit ihnen zu porträtieren. Parallel dazu beginnt eine systematische Zucht, bei der Körper und Wesen der Tiere zunehmend den sozialen und ästhetischen Vorlieben der Menschen angepaßt werden, was für die Tiere mitunter von Übel ist. So sind zu kurze Beine, zuviel Gewicht, zu viele Falten, zu viele oder gar keine Haare etwa in der Hundezucht schuld, daß diese Tiere ihr ganzes Leben lang gesundheitliche Probleme haben.

Im übrigen gehen die Kuratoren auch der Frage nach, ob sich Mensch und Haustier im Lauf ihres Zusammenlebens ähnlich werden. Zumindest nach dem Betrachten der ausgestellten Fotos ist der Besucher geneigt, die Frage mit Ja zu beantworten.

Die Ausstellung „Tierisch beste Freunde. Über Haustiere und ihre Menschen“ ist bis zum 1. Juli im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 4846-400

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