© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Pankraz,
D. Dettling und die jugendliche Politik

Während sich die Große Koalition in diesen Tagen zum Endspiel der Gestrigen aufmacht, ist international ein neuer Politikertyp im Trend: charismatisch, unternehmerisch und zukunftsgewandt.“ So sprach neulich (in der Zeitung Die Welt) Daniel Dettling vom „Zukunftsinstitut“ in Frankfurt am Main, einem von der Industrie gesponserten „Think Tank“, der bisher freilich eher als Nichtdenkfabrik auffällig geworden ist. Auch die Ausführungen Dettlings liefern nur die üblichen Phrasen: „mehr Bürgernähe“, „Einigkeit in der Vielfalt“, „Integration plus Innovation“, und, und, und. 

Nicht einmal der Sehnsuchtsruf nach den „Jungen“, nach einer neuen, verjüngten Generation von Politikern an den Schalthebeln, wirkt originell. Er ist – genau betrachtet – fester Bestandteil jeder Politik, welcher Form auch immer. Selbst ausgemachte Diktatoren kümmern sich um ihren „Nachwuchs“, um Figuren also, die ihr, der Diktatoren, Werk verläßlich fortsetzen und für herrscherliche Kontinuität sorgen. Wie denn auch anders! Herrschaft will Existenz über den Tod hinaus, und dafür kann eben nur die Jugend sorgen, indem sie tief eingeschliffenen Strukturen zu neuem Glanz verhilft.

Genau solchem Zweck sollen ja Gründungen wie das Frankfurter „Zukunftsinstitut“ dienen: ständiges Aufpolieren alter, eingeschliffener Strukturen, Kontinuität der Substanz durch ständiges, zumindest verbales Verändern der Oberfläche. Man möchte äußerlich jung bleiben und trotzdem innerlich alt werden. Oder, um es mit Daniel Dettling zu sagen: „E pluribus unum – aus vielen eines zu schaffen ist die vorrangige Aufgabe politischer Führung in Zeiten von Individualisierung und Wertewandel. Der Wappenspruch im Großen Siegel der Vereinigten Staaten war lange Zeit das inoffizielle Motto der USA und könnte zum Motto einer neuen Politik werden (…)  Das Projekt ist ein Bündnis der neuen und der alten Mitte. Ein Bündnis, welches das flexible Leben der neuen digitalen Mittelschicht mit dem Sicherheitsbedürfnis der alten Mittelschicht wieder verbindet.“


Charismatisch, unternehmerisch und zukunftsgewandt“ sollen die von Dettling gewünschten Politiker sein, und deshalb, sagt er, müssen sie vor allem jung sein, damit „das Endspiel der Gestrigen“ in Berlin so früh wie möglich zu seinem Ende kommt. Aber bedarf es wirklich einer sichtbar jungen Generation von Politikern, um der aktuellen Misere abzuhelfen? Sind junge Leute wirklich charismatischer, unternehmerischer und zukunftsgewandter als ältere Semester? Ein Blick speziell in die jüngere Geschichte belehrt uns eines Besseren.

Junge Menschen, auch begabte, mutige und gut erzogene, taugen wenig zum Polieren von Oberflächen, sie wollen an die Grundlagen und Kontinuitäten herankommen und diese am liebsten total umstürzen. Ihr Hauptantrieb zielt auf Revolution, auf Kaputtschlagen und radikalen Neuanfang statt auf bedachtsame Reformation an Haupt und Gliedern. Was dabei herauskommt, wenn sie an die Schalthebel gelangen, haben gerade wir in Deutschland immer wieder leidvoll erfahren. Die Verhältnisse wurden schlechter statt besser. Alexis de Tocqueville hatte recht: „Revolution statt Reformation führt in die Diktatur.“

Mag sein, daß es charismatische, die Massen momentan anziehende und aktivierende junge Politiker gibt, doch ihr Charisma bleibt auf jeden Fall unvollständig, ihm fehlt die Lebenserfahrung, es verbreitet nicht das geringste Sicherheitsgefühl. Man fühlt sich unter der  Herrschaft charismatischer Jung-Politiker nur immer wieder aufgeheizt, niemals geborgen. Und auch mit ihrer Zukunftsgewandtheit ist es nicht weit her; was sie anbieten, sind in der Regel bloße Utopien, angelesene Ideologien, die mit den wirklichen Verhältnissen und ihren Problemen nichts zu tun haben.


Aus der Geschichte der Neuzeit erfährt man denn auch, daß wirklich junge Politiker ausgesprochen selten waren. Den französischen Revolutionär Louis Antoine de Saint-Just (bei seiner Hinrichtung 1794 sechsundzwanzig Jahre alt) wird wohl kaum jemand als einen echten Politiker bezeichnen wollen, sowenig wie unseren Rudi Dutschke seligen Angedenkens. Die von Daniel Dettling als Hoffnungsträger genannten „jungen“ Politiker der Gegenwart sind alle schon hoch in den Dreißigern oder darüber hinaus: Justin Trudeau (46), Michael Kretschmer (42), Emmanuel Macron (40), Manuela Schwesig (43), Christian Lindner (39) …

Bei den klassischen alten Griechen, die zur Zeit im Fernsehen so gern als „Gründer der europäischen Demokratie“ gefeiert werden, wären all die Genannten anstandslos zur Ekklesia, der griechischen Volksversammlung, zugelassen worden. Dabei legten die alten Griechen in politicis den größten Wert auf „Volljährigkeit“, welche bei ihnen mit dreißig begann. Wer als freier Bürger männlichen Geschlechts über dreißig Jahre alt war, galt selbstverständlich als voll erwachsen, er kannte, setzte man voraus, das Leben nebst sämtlichen Fallstricken der Politik aus dem Effeff.

Daß im heutigen Deutschland Politiker in den Vierzigern noch als jung gelten und von sogenannten Zukunftsinstituten angehimmelt werden, wirkt  demgegenüber doch recht komisch. Aber es ist ernst gemeint – und wird sogar immer ernster. Gerüchte verdichten sich: Nicht vorn bei den Dreißigern, sondern hinten bei den Siebzigern sollen so bald wie möglich  Zugangsgrenzen für Wahlbürger aufgerichtet werden. Denn die Menschen würden immer älter und damit auch immer „reaktionärer“. Dem müsse man im Interesse der Jugend einen Riegel vorschieben.

Kurz, hilf!, kann man da nur rufen. Sebastian Kurz, der neue österreichische Bundeskanzler, ist zwar erst 31 Jahre alt und erfüllt somit gerade noch knapp die altgriechischen Zulassungskriterien, doch seine Pläne liegen – um mit Büroleiter Dettling zu sprechen – „nicht im Trend“. Wenn es ihm trotzdem gelingt, sie durchzuhalten, kriegen wir vielleicht bald europaweit eine gute, nämlich jung-alte Politik.