© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/18 / 12. Januar 2018

Merkels Uhr ist abgelaufen
Wer die Unionsparteien erneuern will, muß sie wieder nach rechts rücken
Michael Paulwitz

Angela Merkel ist die Untote unter den europäischen Regierungschefs. Ihre Uhr ist abgelaufen. Auch treueste mediale, politische und gesellschaftliche Gefolgsleute wenden sich von der seit geschlagenen dreieinhalb Monaten nur noch geschäftsführenden Bundeskanzlerin ab. Die will das nahende Ende nicht wahrhaben, und ihre Paladine, wohlwissend, daß Merkels Karriere-Aus für nicht wenige von ihnen auch das eigene bedeuten würde, bestärken sie vorerst noch darin.

Doch selbst wenn es der 63jährigen mit deren Hilfe noch einmal gelingt, sich in eine geschrumpfte „Große Koalition“ der Wahlverlierer zu retten, ist fraglich, wie lange diese überhaupt zusammenhält. Was die angeschlagene CDU-Chefin und die nicht minder gerupften Oberhäupter von CSU und SPD, Horst Seehofer und Martin Schulz, abermals an den schwarz-roten Tisch treibt, ist die blanke Überlebensangst: Scheitert auch dieser Koalitionsversuch, sind alle drei kaum noch zu halten.

Mehr als neue Schröpfköpfe für die Bürger sowie die weitere Verschleppung und Verschärfung der selbstangerichteten Probleme wird kaum herauskommen, wenn die alten Gestalten sich auf ein Weiterwursteln verständigen. FDP-Chef Christian Lindner hat diese Schwachstelle aufgespießt, als er in seiner Stuttgarter Dreikönigsrede noch einmal kategorisch eine Statistenrolle als Mehrheitsbeschaffer für das Ancien régime des Merkelismus ausschloß. Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki senden wechselnde und mitunter widersprüchliche Signale aus, die aber eine Botschaft gemeinsam haben: Wenn Koalition, dann nur mit einem anderen Kanzler – sogar die „Schwampel“ mit den Grünen käme dann noch einmal in Frage.

Das ist nicht die einzige Stimme im lauter werdenden „Merkel muß weg“-Chor. Der gegen ihren Willen zur Adenauer-Stiftung gewechselte Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte die Regierungschefin noch vor der Weihnachtspause mit halbherzig dementierten Gedankenspielen über ein GroKo-Scheitern und Neuwahlen ohne Merkel angeschossen.

Auch in der deutschen Wirtschaft hat die Physikerin prominente Fürsprecher verloren. Das Handelsblatt ließ kürzlich eine Reihe von Konzernlenkern und Mittelständlern öffentlich über die „Schneekönigin“ auf dem „Gipfel ihrer Einsamkeit“ murren. Daß dazu noch Welt, Spiegel oder Süddeutsche die Kanzlerin hart angehen, mitleidige Nachrufe auf das System Merkel veröffentlichen und Hofhistoriker Herfried Münkler sich über das „Ende des Merkelismus“ freuen lassen, dürfte im Kanzleramt die Ohren wohl am lautesten klingeln lassen.

Fragt sich nur, wer in der CDU die Vorsitzende tatsächlich beerben soll, wenn es denn soweit ist. Schäuble, den sie schon bei der Verteilung des Kohl-Erbes ausmanövriert hatte, hat Merkel noch rechtzeitig auf den Sessel des Bundestagspräsidenten weggelobt. Wer Ambitionen hat, hebt den Kopf lieber nicht zu früh aus der Deckung.

Sowohl in der FDP als auch in Wirtschaftskreisen denkt man wohl vor allem an jüngere und dynamischere Merkel-Wiedergänger, wenn „Reform“ und „Erneuerung“ angemahnt und dabei ausgerechnet auf Emmanuel Macron gedeutet wird, den Wunderknaben der französischen Polit-Elite. FDP-Vize Kubicki hat gar den vor einem Jahr noch gänzlich unbekannten Daniel Günther ins Spiel gebracht, der als Ministerpräsident in Kiel bereits unauffällig eine schwarz-gelb-grüne Koalition anführt.

Der wäre allerdings inhaltlich ebenso eine Merkel-Kopie wie seine ebenfalls bisweilen genannten Amtskollegen im Saarland und in Nord­rhein-Westfalen, Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet. Die haben immerhin Wahlerfolge vorzuweisen im Unterschied zur ehrgeizigen, aber als Verteidigungsministerin trostlosen Ursula von der Leyen.

Von denen, die der Noch-Amtsinhaberin gelegentlich widersprechen, werden am häufigsten Finanz-Staatssekretär Jens Spahn und die rheinland-pfälzische CDU-Landeschefin Julia Klöckner genannt. Der eine hat sich noch nie in einem Wahlkampf bewähren müssen, die andere hat vor knapp zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Asylkrise, die Landtagswahl in der Heimat krachend verloren.

Und Friedrich Merz, Merkels erstes prominentes Opfer? Auch sein Name ist wieder im Spiel, nicht nur bei der Jungen Union hat er Anhänger. Mit schneidender Kritik an der Kanzlerin hat er sich zurückgemeldet. Bevor allerdings ein international erfolgreicher Wirtschaftsanwalt sich in die Politik zurückrufen läßt, muß die Lage wohl schon so verzweifelt sein, daß er sich ähnlich diktatorische Vollmachten ausbedingen kann wie Sebastian Kurz bei der Übernahme der ÖVP.

Das indes könnte schneller geschehen als gedacht, wenn aus der Fortsetzung der schwarz-roten Regierung nichts wird. Nicht nur in der gerupften SPD hält sich die Begeisterung in Grenzen. Am meisten zu verlieren hat die CSU, die im September um die Macht in Bayern kämpft und der im Zweifelsfall München näher ist als Berlin und die Ministerambitionen Horst Seehofers, ihres Vorsitzenden im Austragshaus. Mit markigen Forderungen zur Einwanderungs- und Sicherheitspolitik, der Orbán-Einladung zur Klausur nach Seeon und dem Papier von Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zur „bürgerlich-konservativen“ Wende sind die Bruchlinien markiert. Retten kann das die CSU freilich nur, wenn sie damit auch Ernst macht, die „GroKo“ platzen läßt und so die Ära Merkel beendet.

Das wäre die logische Konsequenz aus den Wahlerfolgen der AfD, die der CSU im Nacken sitzen und die den Rahmen des politischen Diskurses bereits jetzt wieder nach rechts verschieben. Nicht nur Angela Merkels Uhr ist abgelaufen, auch die Merkel-Klone werden den Niedergang der CDU nicht aufhalten. Wer die Union erneuern will, muß sie wieder nach rechts rücken.