© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Eine Haltung der Mitte
Merkel-Groupie erklärt den „modernen“ Konservatismus
Paul Leonhard

Ist das konservativ? Die 27jährige Diana Kinnert verteidigt Angela Merkels einsame Entscheidung der Grenzöffnung für Flüchtlinge 2015 als „eine berechnete, rationale und notwendig unsentimentale Enscheidung, die im absoluten Interesse Europas und Deutschlands stand“. Die Tochter einer Philippinin und eines Spätaussiedlers aus Oberschlesien spricht sich gegen eine Leitkultur und für einen „deutschen Multikulturalismus“ aus. Die junge Christdemokratin hält das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft für „Schwachsinn“, bezeichnet die frühere Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach als „ein Weichei“ und deren Parteiaustritt als „feige“. Das Rechtskonservative in der CDU sei niemals stigmatisiert worden.

Konservative Werte wie Stabilität, Sicherheit und Wohlstand seien gefährdet, „wenn wir auf die wandelnde Umwelt nicht reagieren“, schreibt die 1991 in Wuppertal Geborene und durch die dortige Schwebebahn „Zwangspolitisierte“. Welche Haltung, Werte und Programmatik sollte ein zeitgemäßer Konservatismus vertreten? Kinnert plädiert für eine „reflektierte Haltung der Mitte“: Der Konservative „differenziert, statt zu verkürzen, wägt ab, statt überzuschäumen, ist der Spielverderber bei Trends und Hypes und Hysterie, steht für eine Kultur der Selbstvergewisserung und entscheidet auf Grundlage der Stimmung der Mehrheitsbevölkerung“.

Die Autorin spricht jene Themen an, die sie selbst umtreiben: die Flüchtlingspolitik, die Zukunft Europas, das digitale Zeitalter. Brexit, Identitäts- und Sterbepolitik interessieren sie ebenso wie die Folgen von Political Correctness und Fake News. Ihre Antworten überzeugen nicht immer, sind aber zumindest , so Kinnert, „im besten Sinne modern und konservativ in einem“.

Da das politisch quer- und durcheinander denkende lesbische Nachwuchstalent mit Migrationshintergrund frühzeitig von CDU-Granden wie Peter Hintze, dessen Abgeordnetenbüro sie 2015 leitete, und Generalsekretär Peter Tauber, der sie in die Reformkommission „Meine CDU 2017“ holte, entdeckt wurde, stimmt es vernüglich, sich vorzustellen, wie Kinnert mit ihren Ideen zum Konservatismus und vor allem mehr „Offenheit“ die Programmkommission bereichert haben dürfte.

Diana Kinnert: Für die Zukunft seh‘ ich schwarz. Plädoyer für einen modernen Konservatismus. Rowohlt Verlag, Reinbek 2017, broschiert, 208 Seiten, 9,99 Euro