© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/18 / 05. Januar 2018

Grüße aus Bozen
Eine Frage der Identität
Martin Feichter

Ein kalter Wintertag in der Landeshauptstadt, und wer genau hinschaut, kann den Atem der menschen erkennen, die sich vom Bahnhof den Weg in Richtung Innenstadt zur Arbeit bahnen. Geschickt weichen sie den inzwischen zu Eis erstarrten Schneehaufen auf den Gehwegen aus und ärgern sich über den Schlendrian der Stadtverwaltung. Neben dem Geschimpfe fällt in einer Unterhaltung zwischen zwei Männern im Anzug öfter das Wort „doppelte Staatsbürgerschaft“. Ein heißes Thema in dieser kalten Jahreszeit.

19 von 35 Südtiroler Landtagsabgeordneten haben sich mit einem Brief an ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache (FPÖ) gewandt und darum gebeten, die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler vorzusehen. Ein Anliegen mit Aussichten auf Erfolg. Die Regierungsparteien haben die doppelte Staatsbürgerschaft in ihr Koalitionsabkommen aufgenommen. 

In Südtirol selbst sieht man die Sache mit der doppelten Staatsbürgerschaft gelassen.

Einige Exponenten von Italiens rechtem Lager laufen dagegen Sturm. Sogar der Präsident des Europäischen Parlaments, der Italiener Antonio Tajani, äußerte seine Bedenken. Im italienischen Staatsfernsehen sagte der Forza-Italia-Politiker, er glaube nicht daran, daß die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler zu einer Entspannung beitrage. „Es wäre so, als ob wir [Italien] in Kroatien jenen den italienischen Paß geben würden, die dort italienischer Muttersprache sind“, so der schlecht informierte Tajani.

 Denn genau das macht Italien schon seit Jahren. Die italienischen Minderheiten in Istrien, Fiume und Dalmatien können ohne weiteres die italienische Staatsbürgerschaft beantragen. Spannungen blieben aus.

In Südtirol selbst sieht man die Sache gelassen. Als österreichische Minderheit, scheint eine österreichische Staatsbürgerschaft nicht abwegig. Befürworter und Gegner finden sich aber auch bei ladinischen Muttersprachlern. Da sich aber niemand um den österreichischen Paß bemühen muß und keinem etwas weggenommen wird, bleibt es bei angeregten Diskussionen über Zweck und Nutzen.

„Welche Vorteile bringt uns der Paß?“ fragt auch der eine Geschäftsmann den anderen, während die beiden den Waltherplatz erreichen. „Unter anderem das Wahlrecht und den Zugang zu jeglicher Arbeit im öffentlichen Dienst“, argumentiert sein Gesprächspartner. „Aber nicht zuletzt ist es auch eine Frage der Identität.“