© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Die Lust am Andersartigen
Welt des Geistes: Zu einer Ausstellung über Juden, Christen und Muslime im Dialog der Wissenschaften von der Spätantike bis zur Renaissance
Eberhard Straub

Die heutigen Europäer, die Europa mit der EU oder gar mit einem willkürlich konstruierten Kern-europa verwechseln, wollen nur noch Westen sein. Sie lassen sich nur ungern daran erinnern, daß sie seit Beginn ihrer Geschichte in dauerndem Austausch mit dem Orient standen. Gegen diese Alte Welt, veraltend, verfallend und erschöpft, wandte sich die von den Europäern ins Dasein gerufene Neue Welt seit der Gründung der USA.

In der Alten Welt gab es keinen eindeutigen Gegensatz von Orient und Okzident, trotz zuweilen recht lebhafter west-östlicher Vorbehalte, wenn sich gebildete Römer schon unter Augustus am Tiber wie am Orontes, also wie in Syrien, vorkamen. Orient und Okzident waren geprägt worden vom Hellenismus und vom hellenisierten Imperium Romanum, in dem endlich auch die Barbaren am Rhein, an der Donau oder  in England und Irland mit gefälliger Lebensart und geistiger Höflichkeit beim Lesen, Schreiben und Reden vertraut gemacht wurden.

Sämtliche Römer im westlichen Teil des Reiches wußten, was sie Syrern, Ägyptern oder Persern verdankten. Denn von dort kamen gute Manieren, Luxus und allerlei mondäne Verspielt-heiten, allerdings auch erstaunliche Gedanken, große Kunstformen wie der Roman und vor allem sämtliche Religionen, die Orient und Okzident erst recht zu einem gelegentlich stürmisch bewegten Großraum vereinten.

Daran änderte auch der Islam nichts, der seit dem späten siebten Jahrhundert nach Christus zum mächtigsten Wandler der Welt um die mittelmeerischen Küsten wurde, weil er sich in der ihn umgebenden Kultur heimisch  machen mußte, die er durchdrang, was hieß, sich zu hellenisieren und zu romanisieren.

In Konstantinopel war der gute Geschmack zu Hause

Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin erinnert an Juden, Christen und Muslime und ihren Austausch untereinander von der Spätantike bis zur Renaissance, also an tausend Jahre spannungsvoller und auch geglückter Begegnungen von 500 bis 1500 nach Christus. Während dieser Zeit war Konstantinopel, ungeachtet einiger Katastrophen, die wahre Weltstadt, auf die alle schauten, um nicht allzu weit von der geistigen Eleganz dieser wahrhaft kaiserlichen Stadt entfernt zu bleiben. Der gute Geschmack war dort zu Hause, und dessen Macht beugten sich Muslime wie Slawen, Germanen und die wegen zuletzt unkontrollierter Masseneinwanderung barbarisierten Romanen. Der gute Geschmack galt auch im Umgang mit den Wissenschaften, die den Menschen insgesamt kultivieren und bilden sollten. Die Ausstellung beschäftigt sich vorzugsweise mit den beiden Naturwissenschaften, der Medizin und der Sternenkunde. Doch die großen Ärzte und Heilkundigen unter Juden, Christen und Muslimen waren zugleich Philosophen, Theologen, Philologen und Dichter. 

Zu einem vernünftigen, heilsamen Leben gehörten nicht nur Kuren und Medikamente und Vorbeugung möglicher Gefahren, sondern auch eine Vorstellung von der großen vernünftigen Weltordnung, in die der vernunftbegabte Mensch eingebunden ist. Mit seiner stets beweglichen Vernunft, immer in Bewegung wie die Sterne und Elemente,  kann und soll er erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Gott hat sie erschaffen und sah, daß sein Werk, seine Schöpfung, gut war. Wer immer sich in sie betrachtend versenkt, nähert sich der Schönheit, schaut die Weltharmonie und hört die Sphärenmusik. Darüber wird er menschlicher, weil er sich vergöttlicht, je aufmerksamer er sich dem göttlichen Geist zuwendet. Darin stimmten die Anhänger der drei Religionen überein. Gott und die Schönheit waren ein und das gleiche. Deshalb verzierten sie ihre Handschriften und Bücher, achteten auf die Schönheit der Buchstaben und Gedanken, eben auf den Stil. Alle drei Religionen setzten vorbildliche griechische und römische Traditionen fort.

Es entwickelte sich ein islamischer Hellenismus

Den Christen waren sie längst selbstverständlich geworden, Juden hatten sich ihnen nicht verschlossen, und die Araber unter den Muslimen griffen sie begierig auf, um nicht für Barbaren gehalten zu werden. Sie alle blickten auf Konstantinopel, reisten dorthin oder studierten dort. Wem das nicht möglich war, der ging in die Bibliotheken und eignete sich über Bücher die Methoden der Wissenschaften und die Regeln der schönen Künste an.

Wer auf der Höhe der Zeit sein wollte, mußte sich auch im Islam hellenisieren. Der größte Teil der Gläubigen bestand ohnehin aus konvertierten Christen, die des Propheten Mohammed frohe Botschaft durchaus mit ihren philosophischen und theologischen Überlieferungen zu verknüpfen verstanden.

Außerdem blieben viele seit Jahrhunderten hellenisierte Syrer, Perser, Babylonier oder Ägypter unter arabisch-muslimischem Einfluß bekennende, aber keineswegs orthodoxe Christen, vor allem die Gebildeten unter ihnen, Ärzte, Juristen, Astronomen, Philosophen oder einfach nur Journalisten, Schönredner, auf deren Hilfe jedes System angewesen ist. Kurzum, es entwickelte sich schnell ein islamischer Hellenismus in Lebensstil, Dichtung und Wissenschaft, was sich heute manche als Euro-Islam erhoffen.

Die griechischen Philosophen und Naturwissenschaftler wurden ins Arabische übersetzt und damit Bestandteil einer islamischen und mittelmeerischen Kultur, die mit schönen Sitten, kühnen Gedanken und sprachlicher Anmut die unbeholfenen Europäer in Paris, Aachen oder Fulda bezauberte. Diese brachen auf, um sich in Córdoba, in Toledo, in Palermo mit Hilfe weltläufiger Muslime und Juden zu hellenisieren und zu humanisieren. Beide und griechische Christen brachten den lateinischen Christen bei, was sie selbst einst von den Griechen oder hellenisierten Syrern gelernt hatten, sich in weltlichen Dingen auf die Vernunft zu verlassen, die Gott dem Menschen verliehen hat, um selbständig die natürliche Welt erfassen zu können. Wissenschaft und Glaube standen sich dabei nicht im Wege.

Der westliche Barbar gelangte zur Leichtigkeit

Über Orientalen gelangte der westliche Barbar allmählich zur Leichtigkeit des Seins im Denken und im Tun. Die arabischen, die islamischen Wissenschaftler waren über die Griechen gesellig geworden und brachten den Nordeuropäern bei, das verdrießliche, ernste  Wesen der Wissenschaften  durch Schmuck und Zierat zu mildern und liebenswürdig zu machen, was die reich bebilderten Handschriften oder Bücher veranschaulichen. Sie waren wie die byzantinischen Gelehrten und Schöngeister höflich erzogen und stellten die Wissenschaften und sich selber nicht schroff dem Leben gegenüber. Sie waren gerade im arabisierten Südeuropa für das übrige Europa schulbildend geworden, eine Art Scholastiker, um es mit ihrem Wissen in einer auf Wissen beruhenden Gesellschaft dem Menschen zu ermöglichen, sich in der Welt zurecht zu finden.

Die Gelehrten ließen sich nicht von religiösen oder nationalen Ideen in ihrer Neugierde aufeinander irritieren. Sie unterstützten und ergänzten einander, die großen Bibliotheken in Alexandria, Córdoba, Konstantinopel oder Antiochia waren Mittelpunkte der großen weiten Welt des Geistes, dessen Kraft daher rührt, zu staunen, zu erstaunen und sich an der Gemeinsamkeit im Streben nach Erkenntnis zu erfreuen. Die Welt war einmal farbig, voller gleichberechtigter Unterschiede und der Lust am Andersartigen, freilich zusammengehalten  durch eine gleichgestimmte Lebenskultur und eine nuancierte Höflichkeit, die sich nach dem richtet, was verbindet und nicht trennt oder spaltet. Darüber unterrichtet im Wortsinne anschaulich diese von der Österreichischen Nationalbibliothek erarbeitete Ausstellung, die tatsächlich im Betrachten der Bilder bildet. Darüber läßt sich freilich auch erfahren, daß unsere angeblich bunte, multikulturelle Welt ziemlich farblos geworden ist, weil ohne jede kulturelle und geistige Substanz. Wir waren schon einmal weiter und reicher im Zeichen der drei Religionen, als deren Kaiser sich der König von Kastilien in Toledo begriff.

Die Ausstellung „Juden, Christen und Muslime. Im Dialog der Wissenschaften 500–1500“ ist bis zum 4. März 2018 im Berliner Martin-Gropius -Bau, Niederkirchnerstraße 7, täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 2 54 86-0

Der Ausstellungskatalog mit 256 Seiten, vierfarbig illustriert, kostet im Museum 23 Euro, im Buchhandel 29,90 Euro.  

 www.berlinerfestspiele.de