© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

CD-Kritik: Philippe Jaroussky – Händel
Schemenhaft
Jens Knorr

Philippe Jaroussky hat einige der Arien, die Georg Friedrich Händel für Kastraten komponiert hat, schon in Studio und Konzert gesungen und Bühnenerfahrung als Ruggiero in „Alcina“ und Sesto in „Giulio Cesare“ gesammelt. Da schien es dem Countertenor hohe Zeit, seine Auswahl aus zehn von Händels Londoner Opern zu treffen, vier der Arien mit den vorgespannten Accompagnato-Rezitativen, die anderen ohne.

Die Arien hält er allesamt innerhalb seiner stimmlichen Möglichkeiten, und läßt sich von keiner an ihre Grenze führen, geschweige denn, daß eine ihn dazu verführte, sie zu überscheiten. Von Jaroussky erwartet sich der Hörer weniger Durchschlagskraft der Stimme als vielmehr schwebende Leichtigkeit und aufreizende Messa di voce, und wird nicht enttäuscht. Jarousskys ausgereifter Sopran klingt gerundet und nicht mehr so ätherisch wie früher: Dieser Engel kommt vom Bariton.

In einer kompletten Oper vermag allein schon ein Stimmcharakter in einem Ensemble konträrer Stimmen eine Figur konturieren; in Jarousskys Konzeptalbum erstehen aus den vorgeführten Affekten allenfalls Schemen Händelscher Figuren, teilweise mit unverhoffter dramatischer Verve vorgetragen. Insgesamt wird der Hörer mit dem Erwarteten gut versorgt, aber Kunst ist das Spiel mit Erwartungen. Der Geschäftsmann Händel war gezwungen zu spielen.

Philippe Jaroussky Das Händel-Album Erato, 2017

 www.philippejaroussky.fr