© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Pankraz,
J. D. Falk und das große Fest der Gnade

O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! So beginnt das legendäre Weihnachtslied von Johannes Daniel Falk aus dem Jahre 1815, dessen Melodie spürbar zwischen Zögerlichkeit und unendlichem Jubel hin und her schwankt. Falk, der in Weimar ein „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“ gegründet hatte und es sehr gut leitete, hatte sie der berühmten Herderschen Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ entnommen. Sie war uraltes christliches Klanggut und hatte im Lauf der Jahrhunderte schon so manchem anderen frommen Chortext seine musikalische Form verliehen.

Falk war sich zunächst unsicher darüber, welchem der großen christlichen Feste, Ostern, Pfingsten oder Weihnachten, er seinen Text zuordnen sollte. „Gnadenreich“ waren sie alle drei, aber waren sie auch wirklich fröhlich? Karfreitag dominierten doch eindeutig Gefühle der Trauer und des Schreckens angesichts der grausamen Kreuzigung, zu Ostern der Triumph und die Begeisterung angesichts der Wiederauferstehung. Zu Pfingsten wiederum gab es vorab viel zu räsonieren angesichts von Himmelfahrt und geistiger Auslegung der Botschaft. Einzig zu Weihnachten herrschte wohl, genau betrachtet, spontane, naive Fröhlichkeit. 

So kam es also, daß „O du fröhliche“ schließlich zum genuinen Weihnachtslied erkoren wurde. Weihnachten war ja in den meisten Teilen der Welt ohnehin ein lustiges, mit allerlei Klamauk und Gaudi ausgestattetes Fest; seine winterliche mitteleuropäische Kuscheligkeit blieb die Ausnahme, und auch dort ist es begleitet von wilden Geschenkorgien und von „Weihnachtsbäumen“, die man mit funkelnden Glaskugeln und goldenen Ketten behängt. Jesus erscheint nicht als himmelweit entfernter  Weltenherrscher, sondern als Menschenkind wie du und ich, mit dem man auf Augenhöhe verkehrt.


Heimo Schwilk hat in seiner Luther-Biographie „Der Zorn Gottes“ zum Reformationsjubiläum den gewissermaßen theologischen Aspekt von Weihnachten scharf herausgearbeitet: Gott wird Mensch, und im selben Takt wird der Mensch partiell Gott. Er ist im innersten Teil seiner Seele dem Willen Gottes gleichsam enthoben, er ist wahrhaft frei und für all seine Entscheidungen voll verantwortlich. Gott kann über ihn zürnen und ihn bestrafen, ohne sich selbst zu bestrafen. Oder verhält es sich doch anders? Müßte der allmächtige Gott nicht alle Übel und also auch unsere Sünden von vornherein von der Welt fernhalten?

Über diese Fragen wurde unter den Gelehrten gerade zur Zeit von Jesu Geburt im römischen Weltreich bis zur Weißglut gestritten. Die israelische Lehre vom „einen“ Gott, der allmächtig, aber auch allgütig sei, fand bei den Gnostikern schärfsten Widerspruch. Es waren Anhänger Zarathustras oder Mani-

chäer, für die die Welt scharf zwischen Gut und Böse geteilt war, angeblich gleich starken Kräften, zwischen denen ein erbarmungsloser Dauerkrieg stattfinde. Die einzige Hoffnung bestehe darin, daß irgendwann ein „Erlöser“ oder „Prophet“ erscheine und die Guten hinter sich vereine und zum Endsieg führe.

Es wimmelte damals vor zweitausend Jahren in Rom, Damaskus oder Jerusalem von allen möglichen Erlösern und Propheten, Gottes- und Menschensöhnen, Wunderheilern und Krawallmachern, die zum Endsieg aufriefen und auch Anhänger fanden. Jesus wurde von den Herrschern und Priestern zu ihnen gezählt, war jedoch die große Ausnahme. Er predigte nicht den Endkampf zwischen Gut und Böse, sondern die Gnadenbotschaft von der Vergebung aller Sünden und der „letztendlichen“ Erlösung jeder leidenden Kreatur in seinem Zeichen. Weltschöpfung und Welterlösung waren für ihn  ein und dasselbe.

Genau dies macht die Originalität und Attraktion des Christentums aus: Gott opfert sich selbst, jedenfalls seinen Sohn, um das Opfer aus der Welt zu schaffen. Jesus nimmt die Sünden der Welt auf sich. Der Gnadenerweis tritt an die Stelle des Opferbegehrens. Dergleichen spiegelt sich bekanntlich auch im Islam, in dessen Hierarchie Jesus Christus einen privilegierten Platz behauptet. Allah, der Allmächtige, begehrt in den Anrufungen nur noch einen einzigen weiteren Titel: der Allgütige, der Allbarmherzige. Er ist ein gnädiger Gott, und nicht nur Mohammed, sondern auch Jesus  ist sein Prophet.


Allerdings endete nicht Mohammeds Walten im Martyrium, sondern das Walten Jesu, des erklärten Sohnes Gottes. Allahs Allgüte wird in keiner Sure des Korans behelligt, anders die Güte des ebenfalls allmächtigen Christengottes in der Bibel, der das Tohuwabohu, das er durch die Erschaffung der Welt angerichtet hat, so sehr bereut, daß er seinen „eingeborenen Sohn Jesus Christus“ zum Opfer darbringt. Sicherlich, das ist „nur“ eine ehrwürdige Erzählung, aber sie enthält eine philosophische Pointe, über die nachzudenken sich durchaus lohnt.

Kann eine allmächtige/allgütige Kraft, so wäre zu fragen, überhaupt etwas erschaffen, das Macht und Güte und ihr glorioses Zusammenspiel treulich abbildet? Ist Erschaffenes nicht grundsätzlich vom Schöpfer verschieden, liegt im Moment des Schaffens nicht ein mephistophelisches, zutiefst bösartiges Element? Der Mythos sieht es jedenfalls so. Der Teufel ist demnach ursprünglich ein „abgefallener“ Erzengel Gottes, ein letztlich notwendiges Betriebselement, eine Kraft, die – wie wir in Goethes „Faust“ über Mephisto lesen – stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Nun, das Weihnachsfest schiebt alle diese heiklen, schwierigen theologischen Grundfragen, wie sie Ostern und Pfingsten unabwendbar überschatten, vergnügt vor sich her. Alles befindet sich noch im Zustand der Geburt, das Kindlein in der Krippe wird selbst von Ochsen und Eseln liebevoll umhegt und alles übrige, was momentan noch stattfindet, ist vergnügter, abwechslungsreicher Betrieb. Heidnische Sonnenwendbräuche werden ohne Skrupel mit einbezogen, und alle vorwitzigen Späße und kleineren Sünden sind von vornherein gnädig vergeben. So läßt sich sicher fröhlich sein.