© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/17-01/18 22. Dezember / 29. Dezember 2017

Ländersache: Sachsen
Beginn mit Biß
Paul Leonhard

Wie es ist, plötzlich seinen geliebten Job und damit ein gehöriges Stück Macht zu verlieren, hat Michael Kretschmer nach dem 24. September kennengelernt, als nicht mehr ausreichend Wähler für ihn stimmten. Nun haben auch vier Minister aus dem Kabinett von Stanislaw Tillich sowie der Leiter der Staatskanzlei diese Erfahrung gemacht. Bei ihnen reichte es aus, daß ein Mann den Daumen senkte: der neue Ministerpräsident, der als bisheriger Generalsekretär einen gehörigen Anteil an der Situation hat, in der sich die Sachsen-Union befindet.

War es bisher seine Aufgabe, vor allem zwischen den verschiedenen Flügeln der Partei zu vermitteln, zeigt Kretschmer gleich zu Beginn seiner Amtszeit Biß. Um einen möglichen Querulanten in der Fraktion, den Dresdner Landtagsabgeordneter Christian Piwarz, einst Landesvorsitzender der Jungen Union und so alt wie der Premier, ruhig zu stellen, berief er den Juristen auf den Posten des Kultusministers. Dafür mußte der Parteilose Frank Haubitz gehen, den Tillich erst acht Wochen zuvor berufen hatte.

Haubitz habe „die Tür für Veränderungen mutig aufgestoßen und so den Weg für die notwendigen Entscheidungen bereitet“, lobte Kretschmer den langjährigen Schuldirektor, um ihn anschließend vor die Tür zu setzen. Auch mit seinen Parteifreunden, die bisher die Ressorts Inneres und Finanzen sowie die Staatskanzlei leiteten, will der neue Premier nicht zusammenarbeiten. Die Posten wurden durch Personen besetzt, denen der bisher in Sachen Ministerialbürokratie völlig unerfahrene Kretschmer vertraut. Sie sollen ihm den Rücken frei halten. 

Der neue Regierungschef hat nicht viel Zeit. Bis zu den Landtagswahlen im Spätsommer 2019 muß er das Vertrauen der Sachsen zurückgewinnen, damit diese, wenn nicht schon zu alter Größe der Biedenkopf-Ära, dann wenigstens wieder zur Nummer eins in der sächsischen Parteienlandschaft wird. Hauptgegner ist dabei die AfD, mit der Kretschmer jegliche Zusammenarbeit ablehnt. Dabei hatte er nach seiner Wahl im Landtag noch betont, auch all jenen die Hand reichen zu wollen, die „mich heute nicht wählen konnten, aus welchen Gründen auch immer“ und der eigentlich „Ministerpräsident aller Sachsen“ werden möchte. Gemeint waren wohl lediglich die Neinsager in der eigenen Fraktion.

Die politischen Spielräume von Kretschmer scheinen gering. Er mußeinerseits in allen innenpolitischen und sozialen Fragen Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD und zugleich der AfD Wind aus den Segeln nehmen.

So ist es kein Wunder, daß sich der 42jährige in der neuen Funktion als erstes zur Flüchtlingspolitik und Grenzkriminalität zu Wort meldete: Die Abschiebung ausreisepflichtiger Flüchtlinge müsse rascher geschehen, der Familiennachzug solle ausgesetzt bleiben und gegen die anwachsende Grenzkriminalität müsse es mehr Kontrollen geben. Investitionen in die Bildung, die Stärkung des ländlichen Raums und der Schulterschluß mit den Kommunen sind weitere Schwerpunkte. Und es geht um die wenigen wirtschaftlichen Leuchttürme jenseits von Dresden, Leipzig und Chemnitz. In seiner früheren Heimatstadt Görlitz soll das Siemens-Turbinenwerk geschlossen werden und auch um Bombardier ist es nicht gut bestellt. Für die Arbeitsplätze dort hat sich Kretschmer weit aus dem Fenster gelehnt.