© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/17 / 15. Dezember 2017

Die verrückteste Wahl der Geschichte
Katalonien: Am 21. Dezember soll die Bevölkerung Kataloniens entscheiden – für oder gegen die Loslösung von Spanien
Michael Ludwig

Lapidar skizziert der frühere spanische Minister und Präsident des Europäischen Parlaments, José Borrell, die gegenwärtige politische Situation in Katalonien: „Ich weiß, daß ich nichts weiß“. Die Madrider Tageszeitung El Mundo ergänzte die Einschätzung des gebürtigen Katalanen: „Wir erleben den ungewöhnlichsten und verrücktesten Wahlkampf unserer Geschichte.“ Gemeint sind die Wahlen in der nordöstlichen Provinz Spaniens, die immer noch unter Zwangsverwaltung steht. Am 21. Dezember soll nun die Bevölkerung darüber entscheiden, wie es weitergehen soll. 

Nachdem die Regionalregierung in Barcelona Anfang Oktober die Loslösung Kataloniens von Spanien verkündet und die Republik ausgerufen hatte, setzte Madrid sie ab und löste das Parlament auf. Um einer drohenden Strafverfolgung zu entgehen, flohen Regierungschef Carles Puigdemont und vier seiner Minister nach Brüssel. Um die bislang schwerwiegendste Herausforderung der spanischen Demokratie zu bewältigen und die Weichen für die Zukunft zu stellen, setzte die konservative Zentralregierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy Neuwahlen an.

 „Wir wollen, daß ein vernünftiges Zusammenleben zwischen Katalanen und Nicht-Katalanen wieder möglich wird. Wir wollen auch, daß die verfassungsrechtlichen Normen respektiert und die wirtschaftliche Talfahrt Kataloniens ein Ende findet“, erklärte Rajoy auf einer Wahlveranstaltung in Lerida. 

Was sich derzeit abspielt, ist in der Tat „ungewöhnlich“. Puigdemont versucht, die politische Auseinandersetzung für sein Wahlbündnis „JxCat“ (Gemeinsam für Katalonien) von Belgien aus zu führen. Zwar zog die spanische Justiz den europäischen Haftbefehl gegen ihn zurück, der nationale blieb aber bestehen. 

El Mundo verweist hierbei auf ein Paradoxon – denn „zur Verblüffung vieler erweist sich sein Absetzen ins Ausland stimmenmäßig als rentabler, als wenn man im Land bleibt und ins Gefängnis wandert“. Denn Puigdemonts Partei konnte zulegen, während die seines Konkurrenten Oriol Junqueras, der als ehemaliger katalanischer Vizepräsident wegen Aufruhrs in Madrid in Untersuchungshaft sitzt, Stimmen verliert.

Blöcke bei Umfragen nahezu gleichauf

Dennoch werden Junqueras linkslastiger ERC Chancen eingeräumt, stärkste politische Kraft auf seiten der Unabhängigkeitsbefürworter zu werden. 21 Prozent der Wählerstimmen werden Umfragen zufolge der ERC zugeschlagen, während Puigdemonts Gruppierung auf 18 Prozent kommt. Neben dem Spitzenkandidaten Oriol befindet sich auch der frühere katalanische „Außenminister“ Raül Romeva in Haft, so daß sich die Partei ganz auf ihre noch in Freiheit befindliche Generalsekretärin Marta Rovira konzentrieren muß, der eine tragende Rolle zufiele, sollten die Independentistas die Mehrheit stellen.

Eine inhaltlich schwer einschätzbare Position nimmt die linke Protestbewegung En Comú ein, deren Aushängeschild die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, ist. Sie lehnt die einseitig erklärte Unabhängigkeit Kataloniens ab, spricht sich aber auch gegen die Zwangsverwaltung aus. En Comú will erreichen, daß die Zentralregierung einem Referendum zustimmt, mit dem geklärt werden soll, ob Katalonien ein eigener Staat wird oder nicht. Sieben Prozent der Wähler wollen für diese Gruppierung stimmen. Fünf Prozent sprechen sich für die linksradikale und sezessionistische CUP-Partei aus.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sammeln sich die Parteien, die gegen die Unabhängigkeit kämpfen. Die wohl größte Aufmerksamkeit zieht die Spitzenkandidatin der bürgerlichen Ciudadanos, Inés Arrimadas, auf sich. Die 36jährige gelernte Juristin gilt als Hoffnungsträgerin der Partei. Ihr traut man zu, die Ciudadanos mit 23 Prozent zur stärksten Kraft im katalanischen Parlament zu machen. 

Die spanischen Sozialisten und die Konservativen der PP  werden den Prognosen zufolge mit 16 beziehungsweise sieben Prozent gehandelt. Beide lassen derzeit keine Möglichkeit aus, aufeinander loszugehen. Während die PP den Sozialisten vorwirft, kein zuverlässiger Partner zu sein und nicht offenzulegen, wohin die Reise nach dem 21. Dezember gehen soll, kritisieren die Sozialisten, daß die Konservativen die Herausforderung der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter zu lange ignoriert hätten. Derzeit halten sich die beiden Blöcke nahezu die Waage – 44 Prozent sind für die Sezessionisten, 46 für den Verbleib der Provinz bei Spanien.