© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Der Flaneur
Stille Nacht
Bernd Rademacher

Der Weihnachtsmarkt versetzt auch Atheisten in besinnliche Stimmung. Dicht drängen sich die Holzbuden in Fachwerk-optik um die angestrahlte Kirche, Tannengrün schmückt die Laternen. Gedämpftes Licht und das Duftgemisch aus Glühwein und gebrannten Mandeln verströmen heimelige Gemütlichkeit. Auch wenn statt Schneeflocken leichter Nieselregen vom Himmel fällt, spiegelt sich auf den Gesichtern der dick eingemummelten Besucher der Zauber der Adventszeit.

Erst fliegen Beleidigungen in fremder Sprache hin und her, dann die Fäuste.

Natürlich bilden die Straßensperren und Polizeistreifen dazu einen bizarren Kontrast, den man so gut es geht, zu ignorieren versucht. Da brüllt es durch die Reihen der Fachwerkstände: „Nikola Mutza, drrrei Euro!“ Ein fliegender Händler preist Nikolausmützen mit blinkenden Applikationen an. Genaugenommen sind es keine „Nikolausmützen“ in Form einer Mitra, sondern die roten Bommelmützen des Coca-Cola-Weihnachtsmanns. Jedenfalls billiger Tand, mit dem sich punschbeschwipste Gruppen gerne dekorieren.

Doch von der anderen Seite tönt es plötzlich ebenso laut: „Nikola Mutza, drrrei Euro!“ Die beiden Anbieter schauen fast identisch aus: Teint, Haare und Augen sind dunkel, beide tragen alte graue Anoraks. Zunächst versuchen sie sich gegenseitig an Lautstärke zu übertreffen. „NIKOLA MUTZA, DRRREI EURO!!!“ schreien sie mit geschwollenen Halsadern. Dann startet der erste einen preislichen Wettbewerb: „Nikola Mutza, sswei Euro!“. Das erzürnt die Konkurrenz: Erst fliegen Beleidigungen in fremder Sprache hin und her, dann die Fäuste. Die „Nikola Mutza“ fliegen ebenfalls. Glühweinbecher schwappen über. Eben noch ausgelassen Naschende halten angespannt ihre Pappteller und Plastikschalen fest.

Ich wende mich ab. Was bringt exotische Folklore doch für eine segensreiche bunte Bereicherung in unsere langweilige Kultur. Wie trist war es dagegen früher.