© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Trinkwasser mit Gschmäckle
Das Getränk aus der Leitung wird zunehmend durch Perfluorcarbone bedroht
Rainer Schmelzer

Das sardonische Grinsen, das Harald Schmidts emphatisches „Ich sage Ja zu deutschem Wasser!“ stets begleitete, hätte mißtrauisch machen müssen. Ganz so unbedenklich, wie es dereinst der Meister des schwarzen Humors und heute die Werbung noch des kleinsten kommunalen Wasserwerks suggeriert, ist der Durstlöscher Leitungswasser indes nicht.

2006 fanden sich in mehreren Bundesländern auf landwirtschaftlichen Flächen Poly- und Perfluorcarbone (PFC). Das sind chemische Verbindungen, bei denen Fluor die Wasserstoffatome in Ketten von Kohlenwasserstoffen vollständig ersetzt hat. Da solche Stoffe reaktionsträge sind und auf Oberflächen dünne, widerstandsfähige, Wasser, Fett und Schmutz abweisende Filme bilden, eignen sie sich ebenso vorzüglich zur Imprägnierung von Regenkleidung und Zelten wie zur Produktion von Küchenutensilien und Lebensmittelverpackungen oder zur Beimischung ins Löschwasser. Der PFC-haltige Schaum erstickt Feuer gut.

Kein Wunder daher, daß Feuerlöschschäume, die 2009 auf einem Kölner Werksgelände in den Boden gelangten, einen positiven PFC-Befund im Trinkwasser verursachten. Im Sommer 2013 kam es im Landkreis Rastatt zu einer Zufallsentdeckung, als auf 400 Hektar Ackerboden große PFC-Mengen festgestellt wurden. Zwei Wasserwerke kostete dies ihre Betriebserlaubnis, und die in der Region angebauten Lebensmittel müssen sich bis heute einer Kontrolle unterziehen lassen, bevor sie in den Handel dürfen. Für die Sanierung der kontaminierten, relativ kleinen Fläche veranschlagen Gutachter einen dreistelligen Millionenbetrag.

Das Umweltbundesamt (UBA) hat Anfang 2017 seine letzte Empfehlung veröffentlicht zu den kaum abbaubaren, langkettigen PFC mit acht und mehr Kohlenstoffatomen, die bei der Herstellung von Teflon-Pfannen und GoreTex-Kleidung bis vor kurzem üblich waren. Unterhalb einer Konzentration von 0,1 Mikrogramm pro Liter der genannten Stoffe – das entspricht etwa 100 Tropfen in 20 Olympiaschwimmbecken – können demnach alle Bevölkerungsgruppen Trinkwasser „bedenkenlos lebenslang trinken“.

Vordergründig entdramatisiert die UBA-Einschätzung das Thema, zeugt aber zugleich von erhöhter Sensibilität in Sachen Trinkwasserqualität. In der Schweiz attackierte Greenpeace einen Hersteller von Funktionskleidung, nachdem in einem Nationalpark PFC-Verbindungen nachgewiesen wurden. Trotzdem nehmen sich europäische Probleme mit den nahezu unzerstörbaren PFC-Molekülen fast harmlos aus im Vergleich mit der schwierigen Lage in den USA.

PFC sammeln sich im Blut, Abbauprodukte sind giftig

Dort, so berichtet der Umweltjournalist Charles Schmidt (Spektrum der Wissenschaft, 8/2017), trinken mindestens sechs Millionen Menschen Wasser, das PFC in Konzentrationen über dem empfohlenen Richtwert enthält. So reichern sich die eigentlich unschädlichen Stoffe im Blut an. Dessen Zerfallsprodukte können aber durchaus giftig sein.

Die US-Chemiekonzerne setzten mit ihren europäischen und australischen Konkurrenten freiwillige Vereinbarung weitgehend um, und verzichten auf den Einsatz langkettiger PFC. Da chinesische Produzenten sie jedoch weiterhin verarbeiten, steht das Importtor etwa für wasserfeste Sportkleidung oder schmutzabweisende Möbelpolsterungen offen. Zudem sind 3.000 unterschiedliche „heimische“ kurz- und langkettige PFC im Umlauf und bleiben eine alltägliche Quelle für Belastungen.

Seitdem die Industrie langkettige PFC ausgemustert hat, sinkt deren Konzentration im Blut. Aber die Millionen US-Bürger, die in den Gegenden mit hohen Altlasten wohnen, in der Nähe von Gewerbegebieten, Militärarealen und Abwasseraufbereitungsanlagen, ist dies ein geringer Trost. Etwa für die 70.000 Anwohner einer Fabrik des DuPont-Konzerns in Wood County (West Virginia), wo man Werte bis zu 1.000 Mikrogramm Perfluoroctansäure pro Liter Wasser maß. Genügend, um für krebsauslösende oder das Immunsystem schwächende Blutkonzentrationen zu sorgen. Wobei es sich für Charles Schmidt lediglich um die Spitze des Eisbergs handeln könnte, denn die Forschung sei bisher nicht in der Lage, das tatsächliche Risiko, das von diesen Chemikalien für die menschliche Gesundheit ausgehe, zu bestimmen.