© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Pluralisierung des Gefallenenkults in Vietnam
Postheroische Wende ist ausgeblieben
(ob)

Die bis 1990 vom kommunistischen Norden ideologisch dominierte Gesellschaft Vietnams ist seitdem in kleinen Schritten heterogener und pluralistischer geworden. Sie verfügt heute über unvergleichlich größere Informationsmöglichkeiten und Freiräume, die eine selbstbewußtere Zivilgesellschaft zunehmend zur Kritik staatlicher Politik nutzt. Wie sich dieser Prozeß gestaltet hat, untersucht Martin Großheim, Professor für Südostasienstudien in Passau, auf dem Feld der Gedenkpolitik, einem „kaum erforschten Aspekt der Gewaltpolitik Vietnams“ (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 4/2017). Wie in Europa und Amerika dient auch in Asien der Totenkult der nationalstaatlichen Legitimierung. In Nordvietnam inszenierte die Kommunistische Partei bereits nach dem Sieg über die französische Kolonialmacht 1954 mit aufwendigen Kampagnen einen staatlich kontrollierten Totenkult, der eine hochgradig selektive Erinnerung pflegte, um die hohen Verluste im Kampf gegen Frankreich und anschließend gegen die USA und als Opfer für die Unabhängigkeit und den Aufbau des Sozialismus zu rechtfertigen. Die Verehrung gefallener Soldaten wurde damit, anders als in Deutschland nach 1945, integraler Bestandteil der Erinnerungskultur. Die „Pluralisierung und Privatisierung“ des offiziellen Heldenkults seit 1990 habe jedoch keine „postheroische“ Gedenkwende bewirkt. 


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