© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Der Selbsttäuschung hingegeben
Düstere Zukunft: Der Roman „Die Moschee Notre-Dame“ schildert ein islamisiertes Westeuropa / Frankreich steht unter der Scharia
Karlheinz Weißmann

Dystopien haben Konjunktur. Vor allem bei Autorinnen. Die eine – Juli Zeh – malt die Zukunft schwarz, in der AfD und Linke eine Querfront bilden und die Macht übernehmen, um die Demokratie abzuschaffen und den Rassismus zu institutionalisieren. Die zweite – Margaret Atwood – fürchtet eine Herrschaft weißer Männer, die Frauen unter Gebärzwang setzen und eine Art alttestamentlich-patriarchalischer Ordnung errichten. Die dritte meint, daß „Eurabia“ nicht nur ein Horrorszenario sei, sondern eine reale Möglichkeit. Diese dritte heißt Jelena Tschudinowa. Ihr Buch „Die Moschee Notre-Dame. Anno 2048“ erschien bereits 2005 in der russischen Originalfassung. Daß die deutsche Übersetzung so lange auf sich warten ließ und jetzt nur in einem kleinen, aber ambitionierten Verlag erscheint, hat Gründe. Vor allem den, daß Jelena Tschudinowas Entwurf dessen, was kommt, ganz ungeeignet ist, um die üblichen Affekte zu bedienen oder nur wohliges Gruseln auszulösen.

„Die Moschee Notre-Dame“ ist ein beklemmendes Buch. Es zeichnet eine Zukunft, die man, wenn nicht für wahrscheinlich, dann doch für denkbar halten wird, heute noch viel eher als bei der ersten Publikation. Denn Jelena Tschudinowa (Jahrgang 1959) hat auch ein Ereignis vorweggenommen, das zwischenzeitlich Realität geworden ist: der Zustrom von Millionen Menschen aus den islamisch geprägten Ländern.

Für ihre Geschichte ist diese Völkerwanderung der Anfang vom Ende des Europas, wie wir es kennen. Schlußphase einer Entwicklung, die mit den ersten Migrationen von Nordafrikanern in den Nachkriegsjahrzehnten begann. Diese Einwanderer wurden oberflächlich assimiliert, was die Indigenen zu der Auffassung verführte, daß die Einschmelzung von Fremden unbegrenzt möglich sei. Eine Selbsttäuschung, der sich der gottlose, von Wohlstand korrumpierte Westen um so lieber hingab, als die humanitären Phrasen nur eine tief eingedrungene Dekadenz kaschierten und niemand sich mehr aufraffen konnte, die notwendigen Abwehrmaßnahmen zu treffen, als die Invasion der armen, ungebildeten Massen aus dem Vorderen Orient und vom Schwarzen Kontinent begann.

Sofort wird ein rigides Apartheidregime errichtet 

Wie genau der Umsturz vollzogen wurde, erklärt „Die Moschee Notre-Dame“ nicht. Aber es ist eindeutig, daß die arabischen Länder die Fäden zogen. Der Bevölkerungsrückgang der Europäer und der Kinderreichtum der Einwanderer bereiteten den Weg, aber zuletzt war es die liberale Knochenweiche, die das, was einmal das Abendland gewesen war, in einen Wurmfortsatz des Nahen Ostens verwandelte. Es wird sofort ein rigides Apartheidregime errichtet, in dem nicht einmal alle Moslems gleich sind. An der Spitze stehen selbstverständlich die Araber und an deren Spitze selbstverständlich diejenigen, die in Anspruch nehmen, Nachfahren des Propheten zu sein, dann folgen die Türken, dann die weißen Konvertiten, dann die schwarzen Muslime, dann diejenigen, die die Bekehrung verweigern. Den größten Teil dieser Restbevölkerung hat man in Ghettos zusammengepfercht, die die Scharia-Polizei und die grünen Sturmabteilungen regelmäßig durchkämmen.

Es gibt allerdings noch Widerstand. Einen geistlichen, der sich vor allem aus dem Kreis der letzten traditionalistischen Katholiken rekrutiert. Hier ist man zum Martyrium bereit, wenn das bedeutet, an den Überzeugungen festzuhalten, die es nach Auflösung der offiziellen katholischen Kirche durch den letzten Papst sowieso nur noch unter den Lefebvristen gibt. Die Hoffnung auf eine Reconquista hat man hier allerdings aufgegeben.

Anders der militärische Widerstand, der sich im Untergrund von Paris festgesetzt hat. Seine Kampfgruppen erinnern einerseits an den maquis während des Zweiten Weltkrieges, andererseits an die „weißen“ Verbände der Königstreuen in der Vendée während der Französischen Revolution.

Aber es handelt sich letztlich um verhältnismäßig schwache Kräfte, und selbst als beschlossen wird, wenn schon keinen entscheidenden, dann zumindest einen symbolischen Schlag gegen die muslimischen Herren zu führen, ist man auf Hilfe von außen angewiesen. Die kann nach Lage der Dinge nur der Osten leisten, denn die Vereinigten Staaten sind längst in ein Konglomerat sich bekämpfender Territorien zerfallen, je nach Religions- oder Rassenzugehörigkeit. Anders das katholische Polen und die Gebiete der Orthodoxie, vor allem Rußland, das alle Versuche des Islam, Fuß zu fassen, abgewehrt oder die einheimischen Moslems von Radikalisierungseinflüssen abgeschottet hat. Aus diesem christlichen Reduit kommen Waffen und Spezialisten, die es dem Widerstand erlauben, wenigstens ein Fanal zu setzen.

Der Widerstand ist zu schwach

Seine Kämpfer besetzen Notre-Dame in Paris, das Wahrzeichen des untergegangenen christlichen Frankreich, die Kathedrale, die von den Besatzern längst in eine Moschee verwandelt wurde. Gleichzeitig versucht der Widerstand, möglichst viele Menschen aus den Ghettos zu retten, weil durchgesickert ist, daß die Regierung die „Endlösung“ der Christenfrage plant. Da die Kräfte der Partisanen viel zu schwach sind, um die Umgebung von Notre-Dame, die Ile de la Cité, auf Dauer zu halten, wird die große Kirche noch einmal provisorisch geweiht und dann eine Messe nach altem Ritus gefeiert, bevor Sprengladungen sie zerstören, um ein weiteres Sakrileg zu verhindern.

Man kann über die literarische Qualität von „Die Moschee Notre-Dame“ unterschiedlicher Meinung sein. Aber das dürfte die Autorin Jelena Tschudinowa kaum irritieren. Denn sie hatte nicht die Absicht, mit einem Buch Proben ihres Stils zu liefern oder nur zur Unterhaltung beizutragen. Sie wird wahrscheinlich der Äußerung von Margaret Atwood, Verfasserin von „Der Report der Magd“, zustimmen, die im Hinblick auf ihre Dystopie meinte: „Sich das Schlimmste vorzustellen, ist ein Weg sich darauf vorzubereiten.“ Allerdings ist die Frage, ob Atwoods Entwurf einer puritanischen Theokratie, von bigotten Männern beherrscht, irgendeine Wahrscheinlichkeit für sich hat. Etwas, das man im Hinblick auf das Buch von Jelena Tschudinowa keineswegs sagen kann.

Jelena Tschudinowa: Die Moschee Notre-Dame. Anno 2048. Renovamen, Bad Schmiedeberg 2017, gebunden, 432 Seiten, 22 Euro