© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

An historischen Dimensionen orientiert
Stadtgestaltung: Der Wiederaufbau der Straßenzüge am Alten Markt in Potsdam schreitet voran
Peter Möller

Vielleicht bringen die Sterne Potsdam etwas Versöhnung. Zumindest im Streit zwischen den Befürwortern einer möglichst weitgehenden Rekonstruktion der durch den Zweiten Weltkrieg und die Abrißorgien des SED-Regime arg in Mitleidenschaft gezogenen alten preußischen Residenzstadt und den Anhängern der DDR-Architektur.

Die „Sterne“, bei denen es sich eigentlich um die Einzelteile einer Wabenstruktur aus Beton handelt, gehörten im Spätsommer zu den ersten Teilen der Fassade der Fachhochschule in Potsdams Mitte, die in Vorbereitung des anstehenden Abrisses entfernt und eingelagert wurden. Um die Fachhochschule tobt seit Jahren ein erbittert geführter Streit, der im Sommer in der Besetzung durch linke und linksextreme Gruppen gipfelte, um den Abbruch zu verhindern. Der Spuk wurde allerdings schnell von der Polizei beendet.

Bis auf wenige Meter ragt der in den siebziger Jahren errichtete DDR-Bau an das rekonstruierte Potsdamer Stadtschloß heran und stört den Gesamteindruck des bereits wieder weitgehend in seiner historischen Gestalt rekonstruierten Alten Markts empfindlich. Ohne Rücksicht auf den alten Stadtgrundriß nimmt das langgestreckte Gebäude die Fläche von gleich zwei ehemaligen Häuserblocks ein.

Doch damit ist bald Schluß. Mit dem Abriß des Gebäudes wird der Platz an dieser Stelle wieder für den alten Stadtgrundriß frei. Damit kann der betörend schöne Alte Markt, der derzeit von der übrigen erhaltenen historischen Altstadt mit der Brandenburger Straße und dem berühmten Holländischen Viertel durch den FH-Riegel abgeschnitten wird, endlich wieder angebunden werden.

Wie dies in Zukunft konkret aussehen könnte, ist seit Mitte November in einer roten Infobox auf dem Alten Markt zu begutachten. Dort sind 37 Entwürfe für die neun Grundstücke des sogenannten „Block III“ zu sehen, auf dem 14 Gebäude entstehen sollen. Das Karree grenzt im Süden und Osten direkt an das Stadtschloß beziehungsweise die imposante, nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel erbaute Nikolaikirche. Die nördliche Grenze ist die derzeit noch von der Fachhochschule überbaute Schwertfegerstraße, im Westen verläuft die Friedrich-Ebert-Straße.

Entwürfe wecken gemischte Gefühle

Neben Genossenschaften und Privatnutzern haben nach Angaben der Stadt auch Projektentwickler und private Investoren ihre Entwürfe abgegeben. Dabei geht es nicht allein um eine gelungene städtebauliche und architektonische Gestaltung. Auch die Frage der sozialen Durchmischung des neuen Stadtquartiers spielt in der Diskussion eine wichtige Rolle. „Wir freuen uns besonders, daß sich rund 20 Bieter ernsthaft mit dem Angebot von gefördertem Mietwohnungsneubau beziehungsweise der Sicherung von am Mietspiegel als Obergrenze orientierten Mieten auseinandersetzen“, sagte die Geschäftsführerin der zuständigen Sanierungsträger Potsdam GmbH Sigrun Rabbe.

Damit hofft die Stadt, den linken „Gentrifizierungs“-Kritikern, die mit einer Neidkampagne Stimmung gegen den Abriß des maroden Hochschulgebäudes und den Wiederaufbau der Straßenzüge am Alten Markt gemacht hatten, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Ein erster Blick auf die Entwürfe für die künftige Bebauung weckt gemischte Gefühle. Das von der Stadt beschlossene Leitbautenkonzept sieht zwar vor, daß einige stadtbildprägende Bauten wieder ihre historische Fassade („Leitfassade“) erhalten beziehungsweise sich dieser durch „architektonische Zitate“ annähern sollen. Die restlichen Bauten können aber in „zeitgenössischer Architektursprache“ entstehen, sollen sich nach den Vorgaben der Planer jedoch an den historischen Dimensionen orientieren.

Und genau hier beginnen die Probleme – und kommen die „Sterne“ der Fachhochschule wieder ins Spiel. Denn die Wabenstruktur des FH-Baus taucht als Fassade in zwei Entwürfen für ein Gebäude in der Schwertfegerstraße 11 wieder auf. Auf dem betreffenden Grundstück stand ursprünglich ein 1774 gebautes barockes Bürgerhaus. Dessen siebenachsige Fassade kann jedoch nicht wieder aufgegriffen werden, da das Grundstück gegenüber dem historischen Stadtgrundriß auf eine Breite von 5,6 Metern gestaucht werden mußte, da die Friedrich-Ebert-Straße für eine Straßenbahntrasse verbreitert wurde, wodurch die westliche Grenze von „Block III“ um einige Meter nach Osten verschoben wurde – auf Kosten des Grundstückes in der Schwertfegerstraße 11.

Historische Leitbauten werden herausstechen

Das Bebauungskonzept sieht daher vor, diese sogenannte „gestauchte Fuge“ auch architektonisch kenntlich zu machen. Dazu soll abweichend von den grundsätzlichen Gestaltungsleitlinien eine „besondere Architektur“ entwickelt werden. Entsprechend sind die Ergebnisse, die in der Infobox auf dem Alten Markt präsentiert werden. Den drei gezeigten Entwürfen ist eigen, daß sie mit der historischen Fassadengestaltung brechen. Während ein Architekt eine Glasfassade präsentiert, die den Blick in das Gebäude freigibt, spielen die beiden anderen Entwürfe mit den Sternen des FH-Gebäude als Fassade. Das Beste, was über diese Idee gesagt werden kann ist, daß damit DDR-Nostalgiker besänftigt werden können, die über den Abriß der Fachhochschule nicht hinwegkommen. Dieses Angebot zur Versöhnung wäre allerdings teuer erkauft. Denn für alle drei Bauvorschläge gilt, daß sie den Gesamteindruck der sich ansonsten an den historischen Vorbildern orientierten Bebauung empfindlich stören. 

Noch ist bei der „gestauchten Fuge“ wie auch bei den anderen Entwürfen das letzte Wort nicht gesprochen. Schon jetzt läßt sich aber erkennen, daß angesichts der zahlreichen sehr schlicht und belanglos ausgefallenen Entwürfe die historischen Leitbauten um so mehr herausstechen werden. Bis zum 8. Dezember will die Auswahlkommission, die mit Vertretern aus den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung, Fachgutachtern und Mitgliedern des Gestaltungsrates sowie der Stadtverwaltung und des Sanierungsträgers besetzt ist, eine erste Entscheidung treffen. Trotz aller Kritik im Detail: Mit der nun begonnenen Planung für Block III, dem später in unmittelbarer Nähe zwei weitere Karrees folgen werden, kommt Potsdam einen weiteren großen Schritt auf dem Weg der Stadtreparatur voran.

Weitere Informationen zu Bauvorhaben in Potsdams Mitte im Internet unter  www.potsdamermitte.de