© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Zu neuem Leben erweckt
Duell: Die Sängerin Cecilia Bartoli und die Cellistin Sol Gabetta haben ein Barock-Album aufgenommen
Markus Brandstetter

Es gibt Komponisten, die kennt heute kein Mensch mehr, obwohl sie zu ihren Lebzeiten weltberühmt waren. Einer davon ist der Italiener Antonio Caldara (1670–1736), der ungeheuer fleißig gewesen ist, denn in einem Leben, das nur ein Jahr länger währte als das von Johann Sebastian Bach, hat er ungefähr dreimal soviel komponiert wie sein deutscher Zeitgenosse.

Caldara stammte ursprünglich aus Venedig. Nach verschiedenen Stationen in Italien (Mantua, Rom, Mailand) gelangte er 1715 an den Habsburger Kaiserhof nach Wien, wo er 1707 zum Vizekapellmeister ernannt wurde, aber sogleich seine kompositorischen Fühler in die gesamten habsburgischen Stammlande ausstreckte. Mit seinen Messen, mehr als 40 Oratorien und über 80 Opern wurde er in den vielen Residenzen des Heiligen Römischen Reiches ungeheuer populär und blieb bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts einer der meistgespielten Komponisten überhaupt. Bach und Haydn haben Werke von ihm transkribiert oder kopiert; Telemann, Beethoven und noch Brahms haben ihn als soliden Kontrapunktiker und guten Melodiker geschätzt.

Stimme plus Violoncello ist uns heute fremd

Von diesem Caldara nun hat Cecilia Bartoli auf ihrer neuesten CD zwei Arien aus längst vergessenen Opern ausgegraben – Arien, deren Wiederentdeckung vielleicht nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre, die aber eine hübsche Besonderheit aufweisen: Sie sind – wie alle Arien auf diesem Album – für Stimme mit obligatem Violoncello geschrieben. Die Kombination menschliche Stimme plus Violoncello ist uns heute fremd geworden, aber im Barock und in der Frühklassik waren solche Duette sehr beliebt. Das hat einen guten Grund: Das Violoncello ist ein Tenorinstrument und hat seine besten und schönsten Töne in einem Tonraum, der in etwa der männlichen Tenorstimme entspricht. Eine Arie für Mezzosopran mit obligatem Violoncello kommt also einem Duett für Mezzo und Tenor sehr nahe.

Kaum bekannter als Caldara sind auch einige andere der auf der Bartoli-CD mit Werken vertretenen Komponisten wie Domenico Gabrieli, Nicola Porpora oder Tomaso Albinoni, die allerdings auch alle Arien für eine Stimme mit Cello-Begleitung geschrieben haben.

Der eine oder andere, der den Namen Albinoni hört, wird jetzt sagen: „Der ist doch gar nicht unbekannt, das ist doch der mit dem Adagio.“ Das ist tatsächlich der mit dem berühmten Adagio, nur stammt diese pseudobarocke Schnulze, die in Beerdigungsinstituten gern während der Verabschiedung gespielt wird, nicht von Tomaso Albinoni (1671–1751), sondern von dem 1998 verstorbenen italienischen Musikwissenschaftler Remo Giazotto, der mit seiner „Bearbeitung“ eines angeblichen Originalbasses einen Welthit landete. Der echte Albinoni war, was man der auf dieser Aufnahme enthaltenen Arie „Il Nascimento Dell’Aurora“ (Die Geburt der Morgenröte) auch ein bißchen anhört, ein Komponist aus der zweiten Reihe, der – trocken und konservativ wie er eben war – kaum eigene Akzente zu setzen vermochte.

Von Nicola Porpora (1686–1768) wird man das jedoch nicht behaupten können. Der war nicht nur einer der größten Vokalkomponisten seiner Zeit, sondern auch ein in ganz Europa berühmter Gesangslehrer und während Porporas Wiener Zeit (1752–1760) auch der Lehrer von Joseph Haydn.

Noch bekannter ist selbstredend Antonio Vivaldi (1678–1741), aber hier tritt er nicht als Verfasser der berühmten Jahreszeiten auf, sondern als Opernkomponist, denn das war er auch. Der venezianische Priester mit den roten Haaren hat nicht nur 90 Triosonaten und 600 Instrumentalkonzerte komponiert, sondern auch 35 Opern. Diese zerfallen in zwei Gruppen: die älteren, die sich durch instrumentalen Farbenreichtum und den Einsatz von obligaten Instrumenten (Viola d’amore, Violoncello, Gambe) auszeichnen, und die jüngeren nach 1724, in denen sich Vivaldi mehr am Belcanto-Ideal der neapolitanischen Oper orientiert. Die von Cecilia Bartoli und Sol Gabetta hier eingespielte Arie „Di verde ulivo“ (Mit grünem Olivenlaub) stammt aus Vivaldis Zeit in Mantua (1718–1720) und gehört damit der älteren Periode im Opernschaffen des Komponisten an.

„Mit einem Komponisten wie Händel“, hat Cecilia Bartoli kürzlich in einem Interview gesagt, kann man nie etwas falsch machen“, und ihr großer Erfolg in vielen Händel-Opern auf der Bühne gibt ihr recht. Das war sicher einer der Gründe, warum sich auf ihrem neuen Album auch zwei Arien des zum Engländer gewordenen Sachsen finden, einmal die „Ode auf den Tag der Musik“ (Ode for Saint Cecilia’s Day) und die Arie der Alceste aus„ Ariadne auf Kreta“.

Das letzte Stück darauf ist das zehnte Cello-Konzert von Luigi Boccherini (1743–1805), einem Italiener, der fast sein ganzes Leben am spanischen Hof in Madrid verbracht hat und einem breiten Publikum als Verfasser des berühmten Menuettes (aus dem Streichquintett G 275), der Rokoko-Komposition schlechthin, bekannt ist.

Weltersteinspielungen kaum bekannter Stücke

Cecilia Bartoli hat sich auf dieser CD mit der argentinischen Cellistin Sol Gabetta (36) zusammengetan, deren Bruder Andres das familieneigene Kammerorchester „Capella Gabetta“ frisch, zackig und – beim Boccherini – ganz schön aggressiv leitet. Boccherini war kein Barock-Komponist, sondern ein Zeitgenosse von Haydn und Mozart, Für ihn ist Sol Gabettas vibratoloses, schneidend scharfes Spiel, und das auch noch mit einem Barockboden, zu wenig klangschön. Da gibt es bessere Aufnahmen, die weniger authentisch sein mögen, sich aber deutlich angenehmer anhören.

Alles in allem hat Cecilia Bartoli hier eine interessante Einspielung mit einigen Entdeckungen aus Archiven vorgelegt, auf denen sie die fast vergessene Tradition der Arie mit obligatem Begleitinstrument zu neuem Leben erweckt. Die Aufnahmen der Werke Caldaras und Porporas stellen sogar Weltersteinspielungen dieser kaum bekannten Stücke dar. Zu diesen durchwegs ernsten Werken paßt nun das bonbonfarbene Beiheft, das wie die Karte einer italienischen Eisdiele aussieht, gar nicht, und auch über den Geschmack des Fotografen, der Cecilia Bartoli und Sol Gabetta in meist lächerlichen Posen zuckersüß abgelichtet hat, ließe sich trefflich streiten. Aber die klassische Musik lebt halt schon länger nicht mehr nur von der Musik allein. 

Die nächsten Konzerte von Cecilia Bartoli und Sol Gabetta finden statt am 10. Dezember im Prinzregententheater München, zwei Tage später im Musikverein Wien und am 17. Dezember in der Berliner Philharmonie.

 http://ceciliabartolionline.com

Foto: Cecilia Bartoli vor dem Hotel Sacher in Salzburg: Die Römerin gilt als eine der herausragendsten Mezzosopranistinnen der Gegenwart, berühmt vor allem für ihre perlenden Koloraturen. Mehrfach wurde sie als Sängerin des Jahres ausgezeichnet. Seit 2012 ist sie die künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele. Im kommenden Jahr wird sie dort in einer Neuinszenierung die Hauptrolle in Rossinis Oper „Die Italienerin in Algier“ singen.