© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht
Bürgerversicherung: SPD, Grüne und Linke plädieren für ein einheitliches Gesundheitssystem / Ursprünglich ein Konzept der Rürup-Kommission
Christian Schreiber

Die SPD-Führung will mit der „Bürgerversicherung“ skeptische Genossen für eine Koalition mit der Union begeistern. Auch Grüne und Linke werben damit. Dabei stammt das Konzept aus der „neoliberalen“ Ecke: Der Begriff fand sich im Bericht der Rürup-Kommission über die „Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme“ von 2003. Deren Chef, der Ökonom Bert Rürup, ist Namensgeber der Rürup-Rente, die Selbständigen eine Minirente verschaffen sollte und der Versicherungswirtschaft ein Zusatzgeschäft sicherte. Von 2009 bis 2012 war Rürup dann bei Finanzdienstleistern aktiv.

Unter Verweis auf Horrorprognosen zur Zukunft des Gesundheitswesens präsentierte Rürup zwei „Auswege“, die das System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung (GKV/PKV) ersetzen sollten: eine „Bürgerversicherung und ein dem Äquivalenzprinzip verpflichtetes Konzept pauschaler Gesundheitsprämien“. Letzteres, Angela Merkels „Kopfpauschale“ von anfangs 210 Euro monatlich, die Alleinverdienerfamilien zu Sozialgeldempfängern degradiert und kinderlose Doppelverdiener entlastet hätte, kam über das CDU-Wahlprogramm von 2005 nicht hinaus.

In einer Bürgerversicherung werde die Abhängigkeit der Einnahmen „von der Entwicklung der Arbeitsentgelte dadurch gemindert, daß der Versichertenkreis auf alle Bürgerinnen und Bürger ausgeweitet wird und sämtliche steuerpflichtigen Einkommen der Beitragserhebung unterliegen“, heißt es im Rürup-Bericht. Sprich: Auch Beamte, Gutverdiener, Politiker und Selbständige, die bislang in der PKV sind, sollen in die Bürgerversicherung einzahlen. Das klingt „sozial gerecht“, aber das Kleingedruckte hat es in sich. Beispielsweise die Finanzbasis durch „die Einbeziehung aller Einkommensarten“ zu erhöhen bedeutet: nicht nur die Privatrente, auch das Ersparte, die vermietete Wohnung oder das kleine Aktiendepot wird nun beitragspflichtig.

Doch auch in einer Bürgerversicherung bleibt der PKV der „Bereich der Zusatzversicherungen (Absicherung medizinisch nicht notwendiger Gesundheitsleistungen, Doppelzimmerunterbringung, Kuren, Wellness-Angebote)“ erhalten, heißt es schon im Rürup-Bericht. Und je geringer der gesetzliche Leistungskatalog der Bürgerversicherung ausfällt (Stichwort: „Entlastung der Bürger“), um so mehr lukrative Verdienstmöglichkeiten erschließen sich der PKV – die allerdings niemand mit Vor- oder chronischen Erkrankungen aufnimmt. Das Beispiel der Abschaffung der gesetzlichen Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten und ihre Ersetzung durch teure Privatverträge (JF 38/15), die viele Berufsgruppen und nicht ganz Gesunde praktisch ausschließen, sollten Abschreckung genug sein.

Modelle einer Bürgerversicherung: boeckler.de

PKV-Faltblatt „Vorsicht, Einheitskasse!“:

www.pkv.de

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