© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/17 / 08. Dezember 2017

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?
SPD und Koalitionsfrage: Eigentlich wollte Martin Schulz seine Partei in der Opposition erneuern / Nun muß er sie wieder der Union annähern
Peter Möller

Seinen Eintrag in künftige Politik-Lehrbücher hat Martin Schulz sicher. Das Agieren des SPD-Chefs nach der Bundestagswahl Ende September ist ein Paradebeispiel dafür, was ein Politiker in dieser Situation alles falsch machen kann. Mit seiner Ankündigung noch am Wahlabend, die SPD werde in die Opposition gehen und stehe nicht für eine Neuauflage der Großen Koalition mit CDU/CSU zur Verfügung, beraubte Schulz seine Partei ohne Not einer relativ komfortablen Verhandlungsposition und manövrierte sie in die Sackgasse. Daß der Parteivorstand auf Betreiben von Schulz diesen Kurs nach dem Scheitern der Sondierungen von Union, FDP und Grünen für eine Jamaika-Koalition noch einmal bekräftigt hat, macht die Lage nicht besser. Auf dem an diesem Donnerstag in Berlin beginnenden Parteitag muß Schulz nun versuchen, seine Partei von der bereits eingeleiteten 180-Grad-Wende in der Koalitionsfrage zu überzeugen, um mehr als zwei Monate nach der Wahl doch noch in Sondierungsgespräche mit der Union eintreten zu können. Die Parteitagsregie wurde von der neuen Entwicklung überrollt, denn eigentlich sollte die Versammlung unter dem Motto „Unser Weg nach vorne. SPD erneuern“ die Partei auf ihre Rolle in der Opposition einschwören. Am Wahlergebnis für Schulz, der sich am Donnerstag dem Votum der Delegierten stellen muß, wird abzulesen sein, wie die Kehrtwende bei den Genossen ankommt. Über die hundertprozentige Zustimmung bei seiner Wahl zum Parteichef im März spricht in der SPD derzeit jedenfalls niemand gerne.

Bereits am Montag hatten Parteivorstand und Präsidium der SPD die Weichen für eine erneute Regierungsbeteiligung gestellt. In dem Beschluß der Parteispitze heißt es, die SPD fühle sich „verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann“, aber es gebe „keine Vorfestlegung und keinen Automatismus. Soll heißen: Auch die Möglichkeit zur Tolerierung einer Minderheitsregierung hält sich die Partei offen. 

Haben die Grünen der SPD Jamaika-Details verraten?

Sollte der Parteitag zustimmen, will Schulz in der kommenden Woche „ergebnisoffen“ erste Sondierungsgespräche mit der CDU/CSU führen. Für die Verhandlungen hat der SPD-Vorstand bereits erste Forderungen formuliert, die in den Tagen zuvor bereits von verschiedenen SPD-Politikern ins Spiel gebracht worden waren – sehr zum Unmut der Union. So wollen die Sozialdemokraten die Einführung einer Bürgerversicherung durchsetzen und plädieren zudem für einen großzügigen Familiennachzug von Flüchtlingen, einen weitreichenden Klimaschutz sowie ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit genannt. Ziel der SPD sei es, ein „Maximum“ ihres Wahlprogramms durchsetzen, sagte Schulz. In der CDU sorgt vor allem das Gerücht für Ärger, Grüne hätten Ergebnisse der gescheiterten Jamaika-Sondierungen an die SPD lanciert. Die könnten dadurch genau wissen, bis wohin die Union zu Zugeständnissen bereit wäre.

Dennoch kommt massiver Widerstand vom SPD-Nachwuchs. Der Vorsitzende der Jungsozialisten (Jusos), Kevin Kühnert kündigte an, auf dem Parteitag dafür zu werben, daß die SPD in die Opposition geht. „Die Jusos und unsere ganze Generation erinnern sich, wie die letzten Jahre gelaufen sind: Wichtige Zukunftsentscheidungen wurden vor uns hergeschoben, etwa bei der Rente oder der digitalen Infrastruktur“, sagte Kühnert der Welt. Es sei absehbar, daß das bei einer Neuauflage der Großen Koalition noch einmal so laufen würde. 

Doch nicht nur in der eigenen Partei und im Inland ist der Druck auf Schulz und die SPD-Führung in den vergangenen Tagen gewachsen. Schulz bestätigte, mehrfach mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron telefoniert zu haben. Dieser habe für die Regierungsbeteiligung der SPD geworben, um die europäischen Reformen voranzubringen. 

Auch wenn der Parteitag vermutlich dem Wunsch der SPD-Spitze folgt und sich für Sondierungsgespräche ausspricht, ist der Weg zur Regierungsbildung in Berlin noch lang. Vor der Aufnahme von Koalitionsgesprächen soll nach dem Willen des SPD-Vorstands ein Parteikonvent entscheiden. Sollte es dann tatsächlich einen Koalitionsvertrag geben, müssen noch die SPD-Mitglieder in einer Mitgliederbefragung ihren Segen geben.