© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/17 / 01. Dezember 2017

Strenge Zucht im alliierten Versorgungraum
Der Hamburger Historiker Helmut Mejecher untersucht den Nahen Osten im Zweiten Weltkrieg
Paul Leonhard

Die deutschen Erfolge auf dem europäischen Festland, die Kapitulation Frankreichs und der Kriegs-eintritt Italiens hatten die Briten 1940 insbesondere im Nahen Osten in eine prekäre Situation gebracht. Das Mittelmeer war für den Seehandel geschlossen, der militärische Nachschub und die Versorgung der Zivilbevölkerung weitgehend zusammengebrochen. Dem Vorderen Orient drohte wirtschaftliche und politische Instabilität. Dazu kam die antibritische, teilweise deutschfreundliche Stimmung in einigen Ländern wie Ägypten oder dem Iran.

Wie die Briten diese Situation meisterten und welche Rolle dabei das Leih- und Pachtgesetz der eigentlich noch neutralen USA spielte, untersucht der Hamburger Historiker Helmut Mejcher in seinem Buch „Der Nahe Osten im Zweiten Weltkrieg“.

Behandelt werden Ägypten, Irak, Syrien-Libanon, Transjordanien, Palästina und Saudi-Arabien. Mejcher konzentriert sich insbesondere auf das im April 1941 unter dem Schirm des britischen Oberkommandos Mittelost in Kairo gegründete Middle East Sup-ply Centre (MESC). Er verweist auf die sich zu Kriegsende verschärfende Handels- und Machtkonkurrenz zwischen Großbritannien und den USA. Quellen sind dabei vorwiegend staatliche britische und amerikanische Nationalarchive sowie US-Präsidenten-Bibliotheken.

Bereits im Herbst 1940 war London klar geworden, daß dieser „Krieg nur auf der Grundlage globaler Mobilisierung und effizienter Koordinierung aller für die Kriegsführung und die Logistik notwendigen Ressourcen bestanden werden konnte“, wie Mej-cher schreibt. Mit der Gründung des MESC wurde der Nahe Osten einer Zwangsbewirtschaftung unterworfen. Der bisher für zivile Versorgungstransporte belegte Schiffsraum wurde für den militärischen Nachschub nach Europa, ins Mittelmeer, zum Roten Meer und Arabisch-Persischen Golf benötigt, daher sollten die bis dahin von vielfältigen Importen abhängigen Länder zur Selbstversorgung ertüchtigt werden.

Gleichzeitig mußten die Briten verhindern, daß sich Machtverschiebungen zugunsten der Achsenmächte ereignen. So setzten sie nach einer erfolgreichen Palastrevolte antibritischer Kräfte im Irak am 3. April 1941 fast 24.000 Mann starke Bodentruppen in Marsch. Während die Briten die irakische Luftwaffe zum Großteil am Boden zerstörten, lief die deutsche Militärhilfe, um die die neue Regierung gebeten hatte, nur stockend an. Was schließlich geliefert wurde, war zuwenig und kam zu spät. Am 30. Mai 1941 kam es zum Waffenstillstand. Hitler habe im Irak eine Chance vertan, zu niedrigen Kosten einen sehr hohen Gewinn einzufahren, schrieb Winston Churchill später.

Der Irak wurde fortan zu einem „unerläßlichen Pfeiler für das in Entwicklung befindliche gewaltige alliierte Nachschubunternehmen Paiforce“, schreibt Mejcher. Nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR diente er als Ausgangsbasis für die Invasion des Irans am 25. August 1941, der drei Tage später kapitulierte.

Ohne deutsche Hilfe mußte auch die französische Levante-Armee nach fünf Wochen zähen Widerstands kapitulieren, nachdem am 8. Juni 1941 alliierte Truppen in die französischen Mandatsgebiete Syrien und Libanon einmarschiert waren. Die Briten fürchteten, daß die Deutschen hier einen strategisch bedeutsamen Brückenkopf errichten könnten.

Am 11. März 1941 hatte der Kongreß Präsident Franklin D. Roosevelt ermächtigt, Kriegsnachschub, Dienstleistungen und technische Informationen Ländern zugute kommen zu lassen, die er für die Verteidigung der USA für lebenswichtig hielt. Die „Waffenfabrik der Demokratie“ habe lange vor Kriegseintritt Rüstungsmaterial in die Schlacht gegen die Achsenmächte geworfen, stellt Mejcher fest. Während der sich vom Frühjahr 1942 bis Sommer 1943 erstreckenden Militäroperationen in Nordafrika lieferten die Amerikaner 1.700 Panzer, 1.800 Flugzeuge sowie 25.000 Lkw und Jeeps. Für die Briten war die größte Gefahr, daß die „schlecht koordinierten und improvisierten militärischen Interventionen der Achsenmächte in Nordafrika und im Irak unwägbar“ waren.

Um die wirtschaftliche Selbstversorgung des Nahen Ostens einschließlich der dort stationieren alliierten Streitkräfte zu erreichen, setzten die Bitten neben dem Aufbau einer Industrie und der Intensivierung der Landwirtschhaft auf ein System von Effizienz, Rationierung, Preiskontrolle und Bevorratung, das allerdings von der Bevölkerung als Ausbeutung und Willkür empfunden wurde. Im Irak, einem tradtionellen Ausfuhrland für Gerste und Weizen, wurden größere Getreidelager angelegt und der private Handel mit Getreide zeitweise sogar verboten.

Die Bilanz von Mejcher fällt letztlich positiv aus: In Ägypten, Syrien und dem Irak sei die Palette der Anbauprodukte erweitert oder spezifiziert, eine marktorientierte agroindustrielle Verarbeitung vorangetrieben worden. Allerdings habe die arabische Bevölkerung in den drakonischen Rationalisierungen und Mobilitätseinschränkungen eine Fortsetzung der kolonialen Unterwerfung gesehen.

Die Region sei am Ende des Zweiten Weltkrieges bereit gewesen, in der neuen internationalen Nachkriegsordnung Mitverantwortung für Frieden, Fortschritt und Gerechtigkeit tragen zu können, faßt Mejcher zusammen. Allerdings wurde der Nahe Osten jetzt „in der imperialen Mächten eigenen Art sogenannter sicherheitspolitischer Aufrüstung“ für die Eventualität eines Dritten Weltkriegs mit der Sowjetunion ausgerüstet.

Helmut Mejcher: Der Nahe Osten im Zweiten Weltkrieg. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017, gebunden, 381 Seiten, Abbildungen, 49,90 Euro