© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

„Weidetiere statt Wolfsreviere“
Der eingewanderte Isegrim alarmiert die Provinz / Streit um Bejagung geht weiter
Dieter Menke

Anfang Oktober erlebte München eine kleine Versammlung von Menschen, denen das Demonstrieren, noch dazu in der Großstadt, eher wesensfremd ist: 300 Almbauern protestieren unter der Parole „Weidetiere statt Wolfsreviere“ gegen die Bedrohung durch einen im Jahr 2000 über die Oder eingewanderten Canis lupus, der nach dem Abschuß eines letzten Exemplars 1904 in Deutschland als ausgestorben galt.

Daß die oberbayerischen Wolfsgegner nicht als Panikmacher abzutun sind, sondern berechtigte Sorgen hegen, bestätigt der gleichzeitig gemeldete Ausbruch von sechs Wölfen, die aus einem Gehege im Nationalpark Bayerischer Wald entkamen. Von ihnen erlegte man bislang zwei. Ein Tier überfuhr der Regionalzug, nach den übrigen drei, als besonders gefährlich geltenden, weil von Menschen „angefütterten“ Ausreißern, ist zwischen Großem Falkenstein und Großem Arber eine fieberhafte Fahndung im Gange.

Diese medienwirksame Wolfsjagd hat erstmals die geballte Brisanz der Konflikte sichtbar werden lassen, die sich mit der Rückkehr des „großen Beutegreifers“ in der Landwirtschaft, der Jagd und der von Schleswig-Holstein bis Sachsen um ihre Sicherheit bangenden Bevölkerung einstellten. In Niedersachsen könnte der Wolf sogar die letzte Landtagswahl entschieden haben. Die starrsinnige Weigerung des grünen Umweltministers, Zugeständnisse beim „Wolfsmanagement“ zu machen, war wohl mitverantwortlich für die herben Stimmenverluste seiner von 13,7 auf 8,6 Prozent abgerutschten Partei. Dieser Stimmenverlust verhinderte nun eine Wiederauflage der rotgrünen Koalitionsregierung.

Wann kippt die Stimmung?

Seit Frühjahr inspirierte die Angst vor dem bösen Wolf dramatische Inszenierungen der Wut über untätige Politiker. „In Hunderten von Dörfern“ zwischen der Lüneburger Heide und dem Alten Land an der Niederelbe brennen Mahnfeuer, „Flammen der Revolte“, die, wie der TV-Investigativjournalist Helmar Büchel in der Welt am Sonntag warnte, vom nahenden „Bauernaufstand“ künden. Tatsächlich rangiert das Agrarland mit 716 Nutztierrissen hinter Brandenburg (1.106) und Sachsen (895) an dritter Stelle in einer Statistik, die seit 2000 bundesweit 3.500 durch Wölfe getötete Schafe, Ziegen und Rinder ausweist.

In diesem Jahr führt Niedersachsen mit bisher 68 Attacken und 183 gerissenen Nutztieren sogar die Wolfsopfer-Tabelle an. Tendenz steigend, denn die Ausbreitung der demographisch und genetisch eigenständigen „Mitteleuropäischen Flachlandpopulation“, zu der die deutschen und polnischen Wölfe rechnen, vollzieht sich in nordwestlicher Richtung. Ein erster „Kundschafter“, aus einem Rudel in der Lübtheener Heide (Mecklenburg) stammend, fühlte Anfang September bis zur Halbinsel Eiderstedt vor und riß dort, wo in Westerhever Deutschlands bekanntester Leuchtturm blinkt, in drei Angriffen achtzehn Mutterschafe und Lämmer.

Aus der Perspektive von Wolfgang Köck und Lisa Kuchta (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig) sind solche Zahlen freilich kein Grund zur Aufregung (Natur und Recht, 9/17). Daß die Stimmung gegen den Wolf kippen könnte, halten sie für unwahrscheinlich. Dafür sei der öffentliche Rückhalt für das ehrgeizige Projekt, einem raumgreifenden Raubtier in einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde wieder eine Heimat zu bieten, einfach zu stark.

80 Prozent der Bundesbürger, so ergab 2015 eine vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) beauftragte Forsa-Umfrage, fanden die Rückkehr des Wolfes „erfreulich“, während nur elf Prozent sie als „Bedrohung für Menschen“ ablehnten. Der beharrliche Wolf-Lobbyismus des Nabu, der Umweltbehörden, des Lupus-Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung sowie nicht zuletzt des Bundesumweltministeriums trage eben seine Früchte.

Grasende Nutztiere sind eine besonders leichte Beute

Eine Propaganda, die Köck und Kuchta, auf der inzwischen obsoleten Basis einer Schätzung von 114 Rudeln und Paaren mit 230 erwachsenen Wölfen (2015), kritiklos übernehmen. Angesichts des drastischen Anstiegs der Attacken geradezu zynisch fällt daher ihr Hinweis auf den „Nutzen“ des Räubers für Bauern und Jäger aus. Der überwiege bei Landwirten „bei weitem“, weil die Wölfe in erster Linie Rehe, Rot- und Schwarzwild rissen und sie somit helfen, die Ernteverluste zu reduzieren. Und die Jäger sollten froh sein, weil das vom Wolf gefressene Wild schließlich keine Felder mehr heimsuchen könne und so den Waidmann vor Schadensersatzverpflichtungen des Landwirts bewahre.

Diese Argumentation der Leipziger Umweltexperten steht und fällt mit dem Hauptdogma der Wolfslobby, dem zufolge Wölfe den Menschen, seine Ställe und Weiden meiden und sich ihre Nahrung zu fast 100 Prozent im Wald suchen. Ein Märchen, das heute nur noch ökologische Schwarmgeister glauben. „Statt die Wälder zu durchstreifen und in anstrengender Jagd Rehe, Damhirsche oder Wildschweine zu erlegen, nimmt er die Natur so an, wie sie sich in Deutschland bietet“ – als gedeckten Tisch mit leichter Beute grasender Nutztiere, die nicht einmal die für den „präventiven Herdenschutz“ empfohlenen zwei Meter hohen Zäune vor seinem Zugriff bewahren können, mahnt Helmar Büchel.

Wieviel Wölfe Deutschland derzeit unsicher machen, ist umstritten. Ob der Bestand wirklich mit 250 bis 400 Tieren noch „weit entfernt“ ist von den eintausend erwachsenen Wölfen, die von einem „günstigen Erhaltungszustand“ zeugen und die eine Aufhebung des jagdrechtlichen Artenschutzes legitimieren würden, ist mehr als zweifelhaft. Zumal zwischen 2000 und 2014 insgesamt 400 Wolfswelpen geboren und nur 84 Wölfe nach Verkehrsunfällen, illegalen Tötungen oder aufgrund natürlicher Ursachen tot aufgefunden wurden.

Der rasante Anstieg der Nutztierrisse spricht daher eher für den nahezu günstigen Bestand von 700 Tieren, wie er sich aus WamS-Recherchen ergibt. Da die Wölfe nun „die traditionellen Rinder- und Pferdeweidelandschaften Norddeutschlands erreicht“ haben, die zu vertretbaren Kosten nicht „präventiv durch gute landwirtschaftliche Praxis der Herdenhaltung im Freien“ zu schützen sind, dürften selbst Köck und Kuchta nicht mehr zum „Abwarten“ raten, so daß mittelfristig nichts der allgemeinen Bejagung des Wolfes entgegensteht.

Daß die „Willkommen Wolf“-Kampagnen einem derart riskanten Projekt allgemeine Akzeptanz verschaffen konnten, ist im Anschluß an eine Zeitdiagnose des Berliner Psychologen Alexander Meschnig allein durch jene kollektive „Ablösung von der Realität“ zu verstehen, die auch die Energiewende und die rauschhafte „Willkommenskultur“ ermöglichte. Nur so erkläre sich, daß die „ökologisch korrekten Milieus der Republik“ die „bedingungslose Einwanderung der Wölfe über die auch für sie offenen Grenzen und ihre gewollt unkontrollierte Ausbreitung im Land“ ernsthaft als „Buße für die Sünden der Industrialisierung Deutschlands, als Wiedergutmachungsleistung an die Natur“ auffassen (Helmar Büchel).

Wolfsberatungsstelle des Bundes:  www.dbb-wolf.de

Diskussionseite zum Wolfsmanagement:  wolfsmonitor.de