Eine der letzten und auch besten Geschichten aus der Feder des großen Meisters der amerikanischen Horrorliteratur H.P. Lovecraft trägt den Titel „Der Schatten aus der Zeit“ („The Shadow Out of Time“). Erschienen 1936 in dem Science-fiction-Magazin Astounding Stories, entwickelt die 100 Seiten umfassende phantastische Erzählung wie fast alle seine Werke einen starken Hang zum Makabren, führt den Leser in ein Reich jenseits menschlicher Abgründe und beeindruckt durch die reportagenhafte Darstellung kosmischer Mythen.

1975 verfilmte der seit den Sechzigern in Deutschland lebende US-Regisseur George Moorse „Schatten aus der Zeit“ mit dem bekannten britischen Horror-Darsteller Anton Diffring in der Rolle des Professor Nathaniel Wingate Peaslee, der am 14. Mai 1908 während eines Vortrags über Nationalökonomie plötzlich bewußtlos zusammenbricht und in diesem Zustand längere Zeit verbleibt. Als er dann wieder erwacht, ist seine Erinnerung wie ausgelöscht, seine Sprache fremdartig und verwaschen, für die Mediziner das klassische Beispiel einer Persönlichkeitsspaltung. Jeglichen Wissensstoff nimmt er mit extrem hoher Geschwindigkeit auf, als verfüge sein zweites Ich über eine weit höhere Intelligenz als er selbst.

Jahre später folgt überraschend die Rückverwandlung, sein altes Ich gewinnt die Oberhand. Doch immer öfter wird er von Träumen und Visionen heimgesucht, und er hat den schrecklichen Verdacht, daß seiner Amnesie ein heimlicher Tausch zugrunde lag, daß sein anderes Ich eine aus unbekannten Regionen eingedrungene Macht gewesen sei …

Moorses Film, eigentlich eher ein elektronischer Fotoroman, in dem der Protagonist Raum-Zeit-Verrückungen erlebt und namenlosen Intelligenzbestien begegnet, hat Kameramann Renato Berta mit einer Motordrive-Kamera fotografiert, während der Regisseur 850 Dias auswählte und zu phantastischen Collagen und Sequenzen montierte. Wie H.P. Lovecraft hantiert Moorse – der später für die Serie „Lindenstraße“ arbeitete – raffiniert und subtil mit der Materie des Entsetzens, die jene eigentümliche innere Welt des Autors widerspiegelt, die solche Meisternovellen wie „Der Schatten aus der Zeit“ (bei Suhrkamp auch als Taschenbuch verfügbar) entstehen ließ.

DVD: H.P. Lovecraft. Der Schatten aus der Zeit. Pidax Film 2017, Laufzeit etwa 50 Minuten