© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Zu neuen Ufern aufbrechen
Regionale Wirkungen des neuen Glaubens: Eine Ausstellung in Mannheim beleuchtet Ursachen und Folgen der Reformation im Südwesten
Felix Dirsch

Mit dem überall gefeierten Höhepunkt der Luther-Dekade Ende Oktober dieses Jahres ist das Reformationsgedenken noch lange nicht beendet. Es wäre auch sträflich verkürzend, den großen weltgeschichtlichen Umbruch auf den bedeutendsten der Reformatoren zu reduzieren, so sehr auch seine Persönlichkeit und sein Denken die Anfänge in unvergleichlicher Weise geprägt haben. Bald nach dem Ausbruch der Umwälzungen gingen die Ereignisse auf religiösem, sozialem, politischem und kulturellem Gebiet ihre eigenen Wege – und oft gänzlich unabhängig von den Vorgaben der Wegbereiter.

Nicht zuletzt im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Schweiz beschritt man solches Neuland. Eine Ausstellung in Mannheim beabsichtigt einen Blick auf diese Region, die geographisch im wesentlichen identisch mit dem heutigen Baden-Württemberg ist. 

Punkten kann die Schau „Reformation!“ vor allem in pädagogischer Hinsicht. In der Nähe des Eingangs wird der Besucher auf originelle Weise mit einem der Anlässe des Umbruchs konfrontiert: Er soll sich seine Verfehlungen bewußtmachen, indem er sie auf einem Ablaßblatt ankreuzt und dieses anschließend in eine Box wirft. Ein paar Groschen dürfen gern dazukommen, für gute Zwecke versteht sich. Vor fünf Jahrhunderten war der Vorgang, auf den angespielt wird, wohl existentieller. Viele glaubten dem Ablaßprediger Tetzel und seinen Kollegen, wenn diese ins Gewissen riefen, daß die Seelen der verstorbenen Angehörigen aus dem Fegefeuer springen, wenn das Geld im Kasten klinge.

Es ist eine Stärke der Ausstellung, daß sie etliche allgemeine Voraussetzungen und Hintergründe in Erinnerung ruft. Dazu zählt die im späten Mittelalter zunehmend wichtige Verinnerlichung des Glaubens durch mystische Bewegungen. Zur selben Zeit gewinnen verschiedene humanistische Impulse an Bedeutung, die beabsichtigten, zu den Quellen zurückzukehren. Ohne solche Entwicklungen in Theologie und Frömmigkeits-praxis wäre der Erfolg Luthers wohl begrenzt gewesen.

Die Territorien im Südwesten waren stark zersplittert. Neben weltlichen und geistlichen Hoheitsgebieten gab es etliche einflußreiche freie Reichsstädte, darunter die besonders mächtigen Orte Ulm und Straßburg. Für den Fortgang der Innovationen erwiesen sie sich als wesentlich. Luther selbst inaugurierte im Rahmen einer Disputation in Heidelberg seine neuen Ideen. Scharf stellte er die für das Heil überflüssigen, ja schädlichen guten Werke des Menschen den unendlichen Verdiensten Gottes gegenüber. Entscheidend ist nunmehr die Gnade des Höchsten. Die Studenten feierten den Gegner der überlieferten Scholastik über alle Maße. 

In den Reichsstädten waren es vornehmlich die akademisch gebildeten Prädikanten, die zu neuen Ufern aufbrachen, darunter Konrad Sam, Ambrosius Blarer, Matthäus Alber und Johannes Brenz. In Straßburg wirkte eine herausragende Gestalt wie Martin Bucer, dem besonders die konsequente Aufrechterhaltung des Bilderverbotes und der Kampf gegen den Reliquienhandel am Herzen lag. Bucer fand in Johannes Calvin einen kongenialen Nachfolger, der den Kampf des Vorgängers mit Eifer zu Ende führte.

Abendmahlstreit zwischen Luther und Zwingli

Weiter wird ein Zentrum der Reformation in der Schau ausführlich thematisiert: die Burg Guttenberg am Neckar. Der Burgherr, Dietrich von Gemmingen, ist eine herausragende Gestalt unter den Kraichgauer Rittern. Hier wie an anderer Stelle zeigt sich, daß die Einführung der Reformation häufig nicht ohne persönliche Motive vor sich ging, die mit Religion nichts oder nur wenig zu tun hatten.

In den südwestlichen Räumen wurden erregende Kontroversen ausgetragen, die bis heute maßgebliche theologische Relevanz besitzen. Im Abendmahlstreit zwischen Luther und dem Züricher Reformator Huldrych Zwingli drehte sich die Debatte um die Frage der realen Präsenz Christi in der eucharistischen Feier. Luther hielt noch an der wirklichen Gegenwart des Herrn fest, während Zwingli von dessen symbolischer Anwesenheit überzeugt war. Die Folgen sind weitreichend: Erst im 20. Jahrhundert kam die volle Gemeinschaft lutherischer und reformierter Kirchen zustande.

Calvins Weiterentwicklung der Reformation zeigt sich auf theologischem Gebiet (Prädestinationslehre) wie auf dem Sektor der Kirchenzucht. Die weltliche Obrigkeit übte in Genf ein rigoroses Regiment aus: Verbot des Glücksspiels und aller Vergnügungen, Bilderverbot, Aufhebung des Priesterzölibats, Ende der Heiligenverehrung und einiges mehr. Die puristische Variante ließ von der „Freiheit eines Christenmenschen“ wenig übrig.

Vorangetrieben wurden die Entwicklungen im Herzogtum Württemberg vor allem durch die Säkularisation der Klöster und die Umstellung des Bildungswesens. Herzog Ulrich vollendete die Reformation im Herzogtum Württemberg in den 1530er Jahren planvoll. Das Zeitalter der Konfessionsbildung erwies sich mittlerweile längst als irreversibel, obwohl die Weichenstellungen im einzelnen sich noch hinzogen.

Der Titel der Präsentation ist, so viel bleibt festzustellen, zu weit gegriffen. Von „Europa“ wird außerhalb der südwestlichen Kerngebiete und der Schweiz wenig berichtet. Nicht nur deswegen verläßt der Interessierte das Museum eher mit gemischten Gefühlen.

Die Ausstellung „Reformation! Der Südwesten und Europa“ ist bis zum 2. April 2018 in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 06 21 / 293 31 50

Der Katalog mit 256 Seiten und 128 Abbildungen kostet 24,95 Euro.

 www.rem-mannheim.de/