© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Den Kern freigelegt
Katholizismus: Ein Gesprächsbuch mit Pater Franz Schmidberger von der Priesterbruderschaft St. Pius X
Alexander Pschera

Wer heute auf die Priesterbruderschaft St. Pius X. zu sprechen kommt, blickt meist in entsetzte Gesichter, vor allem in katholischen Kreisen. Sind das nicht diese Sektierer, diese Dunkelmänner? Ist das nicht diese Gegenkirche, die immer noch an der traditionellen Liturgie festhält?

Von Erzbischof Marcel Lefebvre 1970 gegründet, um an den althergebrachten Riten und Lehren der römisch-katholischen Kirche festzuhalten, die das Zweite Vatikanische Konzil aus seiner Sicht aufgegeben hatte, haftet der Piusbruderschaft bis heute immer noch der Ruch des Verbotenen an. Und das, obwohl Papst Benedikt XVI. mit seinem Apostolischen Schreiben „Summorum Pontificum“ aus dem Jahr 2007 darauf hinwies, daß die römische Liturgie in ihrer Gestalt vor der Reform – kurz: die Alte Messe – nie verboten war und deswegen zelebriert werden darf, und obwohl derselbe Papst die Exkommunikation der vier von Lefebvre geweihten Bischöfe Bernard Fellay, Bernard Tissier de Mallerais, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta aufhob, die 1988 von Johannes Paul II. von den Sakramenten ausgeschlossen worden waren – denn genau das bedeutet „Exkommunikation“, und nicht Ausschluß aus der Kirche.

Heute fehlt es der Kirche an Substanz

Damit sich der zweifelhafte Ruf ändert, bat Pater Franz Schmidberger, von 1982 bis 1994 Generaloberer der Piusbruderschaft und seit 2013 Regens am Priesterseminar in Zaitzkofen, den Journalisten Ingo Langner zum Gespräch. Er stellt sich den Fragen Langners und spricht Klartext. Das Ergebnis ihrer Unterhaltung ist ein hochspannendes und unterhaltsames Buch geworden, das alles andere ist als eine traditionalistische Nabelschau oder gar Selbstrechtfertigung. Vielmehr gelingt es Schmidberger in seinen nie ausschweifenden, aber dennoch ausführlichen Antworten, die eine profunde Kenntnis der neueren Kirchengeschichte zeigen, Sympathie für die Piusbruderschaft zu erzeugen, der sich, so wagt der Rezensent zu behaupten, selbst Agnostiker oder Andersgläubige nicht entziehen können. 

Schon das Titelbild strotzt vor Selbstbewußtsein: Es zeigt im oberen Teil die Päpste Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus – also das nachkonziliare Rom – und im unteren Bildteil einen verschmitzt lächelnden Schmidberger, natürlich im traditionellen Priesterrock. „Allein gegen alle“ bedeutet das, aber nicht um der Geste und der Rebellion willen, sondern als Verteidigung einer unverbrüchlichen Wahrheit gegen die vom Zeitgeist angefressene Kirche.

Die Gesprächsstrategie besteht darin, konsequent die Geschichte der nachkonziliaren Kirche aus dem Blickwinkel der Evangelien und der Kirchentradition zu schildern. Sichtbar wird so ein katholischer Kern, der von jedem menschlichen Zutun befreit ist. Schmidberger verweist zu Recht darauf, daß es der Kirche heute vor allem an Substanz fehlt, daß ihr Bemühen sich nicht mehr auf das Heiligkeitsstreben im Klerus und im Volk ausrichtet, sondern daß sie sich immer mehr der Welt zugewandt hat und weiter zuwendet.

Dabei ist die Kirche keine beliebige Institution, die die Gelder ihrer Mitglieder mehr oder weniger sinnvoll verwaltet, sondern sie ist der mystische Leib Christi, wie Papst Pius XII. es 1943 herausgestellt hat. Christus hat die Menschheit durch sein Opfer erlöst, und er hat den Menschen die heilige Messe als eine Opferhandlung zurückgelassen. Der Opfercharakter jedoch war es, den die Liturgiereform ausradierte. Sie schuf die Umrisse einer liturgischen Form, die nur noch von fern an das überlieferte heilige Geschehen erinnerte, weil sie sich dem Innerweltlichen zuwandte. Die Piusbrüder sind neben den Petrusbrüdern, die sich nach der Exkommunikation von dieser abgespalten haben, die einzige Kongregation, die sich nicht nur für den Erhalt der Alten Messe, sondern für ein ganzheitliches katholisches Leben und ein entsprechendes Priesterbild einsetzt.

Natürlich kommen in dem Gesprächsbuch auch Attacken gegen den Zeitgeist nicht zu kurz: „Toleranz ist die Duldung eines Übels“, sagt Schmidberger, und: „Die Wahrheit macht frei, und nicht die Freiheit macht uns wahr.“ Subtil wird die Rolle Ratzingers, der als Vorbereiter des Konzils begann und als Zweifler an dessen Ergebnissen endete, analysiert. Andere Päpste kommen weniger gut weg. Aber dabei wird immer auch deutlich, daß die Piusbruderschaft sich nicht gegen Rom und die Päpste stellt, sondern daß sie mit ihnen stets im Gebet verbunden ist. Ein Bild von Papst Franziskus hängt in der Sakristei in Zaitzkofen. Nur zu gern würde sie ihre mehr als 600 Priester in den Dienst einer ganzheitlichen Erneuerung des Glaubens stellen, aber nicht um den Preis der Anerkennung der Dokumente des Zweiten Konzils. 

Am Priesterseminar in Zaitzkofen studieren heute 50 junge Männer. Die Seminare der Diözesen sind gähnend leer. Klöster, die zur Tradition zurückkehren, erleben einen regen Zulauf, während modernistische Orden ihre letzten gebrechlichen Mitglieder auf Altersheime verteilen. Warum das so ist, das erfährt man in diesem Buch.

Ingo Lagner: Gott, Kirche, Welt und des Teufels Anteil. Im Gespräch mit Pater Franz Schmidberger von der Priesterbruderschaft St. Pius X. Patrimonium-Verlag, Aachen 2017, broschiert, 216 Seiten, 14,80 Euro