© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Der Identität beraubt
Bilderstreit: Im Dresdner Albertinum sind die meisten der in der DDR entstandenen Kunstwerke ins Depot verbannt worden
Paul Leonhard

In Dresden ist ein Bilderstreit ausgebrochen. Ausgetragen wird er – elegant und mit spitzer Feder formuliert – in den Zeitungen oder – böse und gehässig – in den sozialen Medien. Im Mittelpunkt steht das Albertinum mit seinen Ausstellungen und dessen neue Direktorin, Hilke Wagner. Die hat Unglaubliches getan: Sie hat nicht nur die Vertreter des sozialistischen Realismus ins Depot verbannt, sondern gleich die gesamte, bisher in der Dauerausstellung beheimatete, zwischen 1949 und 1989 in der DDR entstandene Kunst.

Es hat eine ganze Zeit gedauert, bis die Dresdner bemerkten, daß die Gemälde des Leipzigers Wolfgang Mattheuer, daß die Werke der großen Dresdner Maler Bernhard Kretzschmar, Wilhelm Rudolph, Theodor Rosenhauer, Peter Graf, Max Uhlig, Stefan Plenkers, Hubertus Giebe nicht für irgendwelche Sonderausstellungen ausgeliehen waren (das waren einige davon tatsächlich), sondern auf Weisung der 1972 in Kassel geborenen neuen Direktorin des Albertinums abgehängt worden waren.

Aufstand des Kulturbürgertums

Diese Tatsache bringt schließlich ein Brandbrief in der Sächsischen Zeitung unter der Überschrift „Wende an den Wänden“ zutage. „Mit brachialer Geste und ganz ohne Begründung, so als erkläre sich der Vorgang wegen seiner Plausibilität ohnehin von alleine, wurde die kunstgeschichtliche Epoche zwischen 1945 und 1990 aus der Schausammlung ins Depot entsorgt“, schreibt Paul Kaiser, Kultur- und Kunstwissenschaftler am Dresdner Institut für Kulturstudien, und gibt damit die Initialzündung für den Aufstand des Dresdner Kulturbürgertums. Die AfD-Landtagsfraktion gießt Öl ins Feuer, als sie von Wagner genaue Zahlen wissen will und diese zwingt, die aktuell ausgestellten Werke aus DDR-Zeiten aufzulisten.

Die Direktorin mokiert sich zwar über die „Erbsenzählerei“, kommt aber – einschließlich zweier Sonderausstellungen – auf 77 Werke. Sonderschaubereinigt sind nur vier Künstler aus der DDR zu sehen, davon drei mit abstrakten Werken. „Das ist ein Skandal“, sagt Kaiser. Und ein Shitstorm bricht über Ministerium und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) herein. Von Haßmails sprechen Kunstministerin Eva-Maria Stange, einst Mitglied der alles beherrschenden Partei und in der Ausbildung des DDR-Lehrernachwuchses tätig, nun zur SPD gewendet, und die im Westen sozialisierte SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann.

Hilke Wagner wollte, obwohl sie über keine Museumserfahrung verfügt, im Albertinum den großen Wurf wagen: die Chronologie der Epochen als bestimmendes Ordnungsprinzip aufbrechen. Die Werke sollten „mehr unter inhaltlichen und thematischen Aspekten“ präsentiert werden als in linearer Erzählung. Sonderausstellungen sollten Besucher locken. Die den Dresdnern als heilig geltende Dauerexposition dagegen verschwinden.

„Ich bin offenbar Projektionsfläche für einen anderen Kampf geworden“, beklagt sich Wagner, zuvor langjährige Leiterin des Braunschweiger Kunstvereins, gegenüber der Zeit: „Mich rufen Leute an, die voller Haß sind.“ In Dresden diskutiere man ihren Lebenslauf und die Frage, ob sie als Westdeutsche überhaupt geeignet für ihren Posten sei. Dabei habe sie doch der Bevölkerung gerade die Arbeiten präsentieren wollen, „die noch nicht die angemessene Anerkennung bekommen haben“.

Eine Argumentation, die wenig überzeugt, wenn man allein daran denkt, daß sie das Monumentalwerk „GoGoGorbatschow“ A.R. Pencks von 1988 vom Treppenhaus in ein kleines Randkabinett umsetzen ließ, wo es nicht mehr seine vorherige Wirkung entfalten kann. Wagner hält jedoch die Präsentation „für angemessen“.

Besucherzahlen sind rückläufig

Daß etwas nicht stimmt, hätte den Museumsdirektoren aufgehen müssen, als die Besucherzahlen einbrachen. Wurden 2015 noch 161.000 Gäste gezählt, waren es ein Jahr später nur noch 89.000. Pegida sollte schuld sein, hieß es auf Bilanzpressekonferenzen. Ein „borniertes Selbstverständnis, das eigenen Wandlungsprozessen im Wege steht“, bescheinigt Kaiser dem Haus.

Ackermann sieht sich schließlich zum Handeln genötigt. An einem Montagabend, während draußen die Pegida-Demonstranten Veränderungen in der praktizierten deutschen Regierungspolitik verlangen, sind die „Freunde des Albertinums“ unter dem Motto „Wir müssen reden: Blickkontakt statt Bilderstreit“ in den Lichthof des Museums eingeladen. Für 240 Zuhörer werden Stühle aufgestellt, mehr als doppelt so viele kommen. Das „große Interesse der Menschen, wie Museen gestaltet werden“, freut sie, sagt Ministerin Stange, die Diskussion, wie „wir mit DDR-Kunst umgehen, überfällig“.

Die Direktorinnen zeigen sich zerknirscht: Sie habe nicht gewußt, „wie stark dieses Gefühl bei vielen Menschen angewachsen ist, seiner Identität, seiner Lebensgeschichte, seines Stolzes beraubt worden zu sein“, bekennt Ackermann, seit einem Jahr im Amt und zuvor Leiterin des Kunstmuseums Stuttgart und der Kunstsammlungen NRW in Düsseldorf. Mit dem Gespräch soll verhindert werden, daß „wir in eine Spirale des Hasses geraten, Gräben tiefer werden, daß Polemik den Dialog erstickt“, beschreibt Wagner ihre Sorgen in der Morgenpost.

Experten stolpern über Begrifflichkeiten

Sie und 14 Experten aus Politik und Kunst sitzen an einer langen Tafel in der Mitte des Lichthofs. Auf vier Stunden ist das Gespräch angesetzt, aber bald ist klar, daß der Zorn der Dresdner verraucht ist. Nur am Anfang gibt es noch Kritik an der Führungsmannschaft – ein Graukopf hinterfragt im breiten Dresdner Sächsisch, ob Hilke Wagner angesichts ihrer Unkenntnis der hiesigen Kunstszene nicht schlichtweg eine Fehlbesetzung sei.

Während die Experten über Begrifflichkeiten stolpern – heißt es DDR-Kunst, Kunst aus oder in der DDR, auf dem Gebiet der DDR entstandene Kunst oder in der DDR sozialisierte Künstler? – begnügen sich die Dresdner zur Erleichterung der Kulturfunktionäre damit, die ihren Künstlern seit dem Mauerfall widerfahrenen Kränkungen aufzuzählen.

Daß die in Dresden und von Dresdner Künstlern zwischen 1945 und 1989 entstandene Kunst ein weites Feld ist, darin sind sich am Ende alle einig. Warum die „Phalanx Dresdner Künstler der Nachkriegszeit mal eben aus Pragmatismus“ weggehängt und damit Künstler aus dem Blickfeld verschwunden sind, die „bis heute wesentlich zur Identität des Dresdner Kulturbürgertums“ beitragen, wie es Hans-Peter Lühr, Vizepräsident des Sächsischen Kultursenats, in einem Leserbrief in der Sächsischen Zeitung formuliert, bleibt das Geheimnis von Direktorin Wagner. Zu vermuten ist Gedankenlosigkeit, fehlende Sensibilität für das Dresdner Publikum und Unkenntnis über eine Zeit, in der die Künstler eine Rolle als „Teilnehmer und Impulsgeber für die Gemeinschaft bewegende Gespräche“ waren, wie es die einst von der Stasi überwachte Künstlerin Erika Stürmer-Alex in der Süddeutschen Zeitung beschreibt. Wie die Journalisten waren die Kulturschaffenden darin geschult, ihre Botschaften zu verstecken, und die DDR-Bürger waren geübt, diese ganz anders als die SED-Bonzen zu interpretieren.

Sie versuche doch gerade, „der überblendeten Erzählung des Ostens eine Stimme zu geben“, was aber nicht bedeutet, daß wir die Heroen des sozialistischen Realismus ausschließen“, versichert Wagner: „Ihre Werke werden in die Ausstellung zurückkehren.“ Wann und wie ist offen. Es gebe jedenfalls keine „konforme Westverschwörung“, versichert SDK-Chefin Ackermann, sondern schlichtweg ein Platzproblem. Die im Albertinum zur Verfügung stehende Ausstellungsfläche von rund 4.480 Quadratmetern, davon 2.500 für die Galerie Neue Meister, sei einfach zu klein. Neidisch blickt der Dresdner nach Leipzig, wo das Museum der bildenden Künste gerade großflächig umgestaltet wird und künftig 1.500 Quadratmeter für Leipziger Künstler reserviert sein sollen.

„Die einen wünschen sich, Dresdner Maler wieder vermehrt im Albertinum zu sehen, die anderen fordern Positionen des 20. Jahrhunderts ein, welche durch den Lauf der Geschichte in den Dresdner Sammlungen fehlen“, faßt Ackermann zusammen. „Außerdem wird zeitgenössische Kunst vermißt.“ Hier winkt Wagner ab: Ein neues Museum für zeitgenössische Kunst zu füllen, würde der Sammlungsbestand gar nicht hergeben.

Ministerin Stange verweist auf die vielen vom Freistaat sanierten, aber leerstehenden Burgen und Schlösser, die für Wechselausstellungen genutzt werden könnten. Auch die SKD-Chefin hat einen Vorschlag: Die vermißten Werke und viele andere könnten unkuratiert in einem Schaudepot gezeigt werden, wo „die Menschen sich demokratisch einen Überblick darüber verschaffen können, was alles da ist“.

„Das Tolle an Dresden ist“, sagt Ackermann, daß „so viele Menschen hier Kultur und Kunst lieben, aber auch einfordern, daß ihnen wichtige Werke zu sehen sind.“ Am Ende gibt es noch einen Ausblick: Im Sommer 2019 wird das Albertinum dem Dresdner A.R. Penck eine Retrospektive widmen. Der Titel: „Terror in Dresden“.