© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Energiewende setzt Kräfte frei
Stellenabbau: „Siemensianer“ besonders in den östlichen Bundesländern sind von Entlassung bedroht
Carsten Müller

Ich bin Siemensianer“ – Ein Ausspruch, der auch heute noch von vielen Mitarbeitern des deutschen Technologiekonzerns mit Stolz ausgesprochen wird. Allerdings fällt es den Beschäftigten wohl zunehmend schwerer. Denn das Management hat in den vergangenen Jahren hinsichtlich Unternehmensstruktur, wie auch Strategie, keinen Stein auf dem anderen gelassen. Mit durchaus beachtlichem Ergebnis, wie die jüngsten Rekordgewinne zeigten. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß Mitarbeiter und Gewerkschaften kein Verständnis mehr aufbringen wollen für die neuesten Maßnahmen und dagegen Sturm laufen. Denn Siemens will in seiner Energiesparte massiv den Rotstift ansetzen.

Es geht um weltweit 6.900 Stellen, die im Geschäft mit großen und modernen Gasturbinen, Generatoren und Elektromotoren wegfallen sollen. Siemens selbst begründet dies mit der schwierigen Markt- und Wettbewerbssituation. So würde der Markt im Bereich für große Gas- und Dampfturbinen eine extreme Überkapazität in der Produktion verzeichnen. Exemplarisch dafür ist die Absatzlage bei großen Gasturbinen, von denen weltweit in diesem Jahr durch alle Wettbewerber zusammen bislang nur 122 Stück verkauft werden konnten, während es Produktionskapazitäten von rund 400 Einheiten gibt. Dies ist eine klare Folge der Energiewende. Denn der Ausbau alternativer Energieversorgung geht sichtbar zu Lasten konventioneller Kraftwerke. Auch wenn nicht jeder Markt derzeit so zielstrebig am Rückbau konventioneller Kraftwerke wie Deutschland arbeitet, so ist die Investitionsneigung doch deutlich gedämpft. Was auch an der Preisentwicklung insbesondere von Öl und Gas liegt. Denn auch wenn die Kraftwerke geringere Einkaufskosten haben, so stehen sie doch bei den Strompreisen ebenfalls unter Druck. Damit werden am Ende auch die möglichen Investitionsrenditen geschmälert.

Siemens versucht nun, durch signifikante Stellenstreichungen, die Kostenseite im Griff zu behalten und Kapazitäten abzubauen. Die deutschen Werke müssen dabei knapp die Hälfte der geplanten Stellenstreichungen übernehmen. Insgesamt sollen im Bereich konventioneller Kraftwerke 2.600 Stellen wegfallen, fast jeder fünfte Arbeitsplatz in diesem Bereich. Bei der Antriebstechnologie sollen weitere 760 Arbeitsplätze abgebaut werden. Um dies umzusetzen, will Siemens die in Sachsen liegenden Standorte Görlitz und Leipzig mit zusammen rund 940 Arbeitsplätzen komplett schließen. Große Einschnitte sind auch in den Werken in Berlin und Mülheim an der Ruhr geplant. Über die Zukunft des Standortes Erfurt wird ebenfalls neu entschieden. Hier strebt Siemens derzeit einen Verkauf an, doch wenn dieser nicht gelingt, dürften auch hier Stellenstreichungen oder die Schließung auf dem Programm stehen.

Das Unternehmen selbst erklärt bislang, den Stellenabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen bewerkstelligen zu wollen. Hier möchte man den Kanon üblicher Maßnahmen wie Vorruhestandsregelungen, Umsetzungen und Abfindungen nutzen. Erst wenn diese nicht das gewünschte Ziel erreichen, stünden wohl auch Kündigungen auf dem Programm. Dagegen mobilisiert die IG Metall als hauptverantwortliche Gewerkschaft großen Widerstand. Derzeit hauptsächlich in symbolischer Form, wie eine Menschenkette um das Berliner Dynamowerk am vergangenen Montag zeigte. Mit dabei ausgerechnet auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller von der SPD und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen, deren industriepolitische Erfolgsbilanz eher dürftig ist. Die IG Metall selbst hat erklärt, daß man beim Widerstand gegen die Stellenstreichungen auch streiken wolle. Siemens dürften also noch ein paar heiße Wochen ins Haus stehen.