© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Alle Jahre wieder die Mär vom Verschwinden
„Wintermarkt statt Weihnachtsmarkt“: In den sozialen Netzwerken verbreiten sich Gerüchte einer deutschlandweiten Umbenennung
Björn Harms

Die festliche Jahreszeit steht vor der Tür und mit ihr eine ganz besondere Tradition. Der Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein wird auch in diesem Jahr Millionen von Menschen an die Stände der deutschen Advents- und Weihnachtsmärkte treiben. Genauso verbreiten sich jedoch alljährlich Gerüchte, die eine vermeintliche Umbenennung der Weihnachtsmärkte in „politisch korrektere“ Wintermärkte beklagen. Dadurch würde sich ein „Einknicken“ gegenüber dem Islam bemerkbar machen, lauten die Vorwürfe.

Dergleichen Berichte sorgten in den Medien des öfteren für helle Aufregung. So echauffierte sich die Bild-Zeitung im Winter 2014 über einen angeblichen Beschluß des Bezirks­amts von Berlin-Kreuzberg. „So muß etwa in Berlin, nicht nur in Kreuzberg, aber dort ausdrücklich, der Weihnachtsmarkt neuerdings Winterfest heißen“, behauptete das Blatt.

Ausgangspunkt der Anschuldigungen war eine Vereinbarung der Kreuzberger Behörden, in der sich das Bezirksamt darauf verständigt hatte, „grundsätzlich keine Genehmigungen für Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum“ zu erteilen. Das Problem: Die zitierte Entscheidung stammte aus dem Jahr 2007 und bezog sich ausschließlich auf Veranstaltungen, bei denen es um religiöse Selbstdarstellung ging. Weihnachtsmärkte waren davon nicht betroffen. Es hatte im Vorjahr weder einen Weihnachts-, noch einen Wintermarkt in Berlin-Kreuzberg gegeben.

Voreilig hinausposaunte Empörung

Auch über der norddeutschen Kleinstadt Elmshorn entlud sich dieses Jahr ein Sturm der Entrüstung – wegen eines Werbeplakates. Es bewarb den örtlichen Weihnachtsmarkt, der allerdings seit längerer Zeit schon Lichtermarkt heißt. Die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach kritisierte auf Twitter: „Ich kenne kein Land außer Deutschland, das seine eigene Kultur und Tradition so über Bord wirft.“ Der Dresdner Anwalt Maximilian Krah schrieb: „Soso, ‘Lichtermarkt’ – so tief sind nicht mal die Kommunisten in der DDR gesunken. Schäm dich, Elmshorn!“

Die Stadt bedauerte sogleich diese „inakzeptable Instrumentalisierung“. Der Begriff „Lichtermarkt“ sei 2007 aufgrund eines Betreiberwechsels gewählt worden. Weil die neue Weihnachtsbeleuchtung ein „klares Highlight“ gewesen sei, habe man sich für diesen Namen entschieden. „Wir distanzieren uns ganz klar von der Idee, daß wir den Markt aus irgendwelchen anderen Gründen umbenannt haben“, verdeutlichte der Elmshorner Bürgermeister Volker Hatje (parteilos).

Ganz ähnlich verhielt es sich im Fall des Wintermarkts am Münchner Flughafen. Die Macher einer Facebook-Seite geißelten die Namenswahl der Veranstaltung als Beispiel dafür, „wie Deutsche im eigenen Land diskriminiert werden“. Aus dem „traditionellen Christkindlmarkt oder dem Weihnachtsmarkt machte der Flughafen kurzerhand einen Wintermarkt“, hieß es weiter – verbunden mit der Aufforderung, sich dort zu beschweren. Es folgte ein tagelanger „Shitstorm“, der die Veranstalter der Flughafen München GmbH (FMG) in Bedrängnis brachte. Daß der Budenzauber bereits seit neun Jahren Wintermarkt hieß, interessierte niemanden. Die Betreiber selbst begründeten den Namenswechsel mit einer Änderung der Öffnungszeiten. So blieben „die Stände im Jahr 2007 erstmals bis zum 7. Januar offen – und damit zwei Wochen länger als die klassischen Weihnachtsmärkte“, sagte ein Sprecher.

Dieser kommerziellen Argumentation folgen auch andere Wintermärkte, die selbigen Namen meist seit der erstmaligen Eröffnung tragen. Die Märkte beginnen lange vor dem ersten Advent, wie etwa der „Gundelsheimer Wintermarkt“ in Franken, oder schließen weit nach dem vierten Advent, wie der „Naumburger Wintermarkt“. Klare gesetzliche Abgrenzungen, die den Veranstaltern vorschreiben, wie sie ihren Markt zu benennen haben, gibt es nicht. Niemand ist gezwungen, trotz längerer Öffnungszeiten einen Weihnachtsmarkt in einen Wintermarkt zu verwandeln. Dementsprechend haben auch die klassischen Weihnachtsmärkte keine festgeschriebenen Öffnungszeiten, sondern könnten theoretisch nach dem vierten Advent ihren Betrieb fortsetzen. Braunschweig und Düsseldorf verlängerten unlängst die Öffnungszeiten ihrer Weihnachtsmärkte bis zum 29. beziehungsweise 30. Dezember.

Für die bundesweit 1.500 bis 2.500 Advents- und Weihnachtsmärkte ist in den nächsten Jahren jedenfalls keine Umbenennung zu befürchten. Das Konzept des deutschen Weihnachtsmarkts ist in den vergangenen Jahren sogar erfolgreich nach Großbritannien und in andere Länder exportiert worden.