© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/17 / 24. November 2017

Ländersache: Niedersachsen
Die GroKo geht an der Leine
Christian Vollradt

Die „GroKo“ steht. Nicht in Berlin, sondern in Hannover. Am Sonnabend hatte die SPD, am Montag abend dann die CDU dem 138seitigen Koalitionsvertrag ihren Segen gegeben. Nahezu exakt dazwischen scheiterten die Jamaika-Sondierungen im Bund. Bei der SPD hatten die Jusos noch etwas gemurrt – unter anderem wegen des zu geringen Frauenanteils in der künftigen Landesregierung. Doch der alte und neue Ministerpräsident Stephan Weil hatte seinen Genossen garantiert, eine Politikwende finde trotz des Wechsels von Rot-Grün zu Rot-Schwarz nicht statt: „Es wird keinen Rollback in der Flüchtlings- und Bildungspolitik geben“, sagte Weil. Von einer „Koalition der Vernunft und des gesunden Menschenverstandes“ war bei der Vorstellung des Vertrags übereinstimmend die Rede. Mit Weil und seinem Ex-Kontrahenten und Neu-Partner Bernd Althusmann (CDU) bilden die beiden Volksparteien zum ersten Mal nach einem halben Jahrhundert wieder eine gemeinsame Regierung an der Leine. 

Außer einem neuen Feiertag und beitragsfreien Kindergärten versprechen die Koalitionäre dem Land zusätzliche Polizisten und 1.000 neue Lehrer. Und – wieder einmal – einen „Schulfrieden“. Man müsse vom ständigen Gegeneinander der Schulformen wegkommen, postulierte Althusmann, der das Ressort für Wirtschaft und Arbeit leitet. Konkret äußert sich das in (faulen) Kompromissen wie etwa der Laufbahnempfehlung nach Klasse 4: Sie wird zwar, wie von der CDU gefordert, wieder eingeführt, aber nur fakultativ – sofern die Eltern es wünschen.

Aus dem Bundestag wechselt die bisherige stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann ins Kabinett, sie wird Sozialministerin. Die Braunschweigerin ist somit zugleich auch Vertreterin dieser Region in der Regierung, ein in Niedersachsen nicht ganz unwichtiger Aspekt. So existieren etwa in der CDU nach wie vor noch die Landesverbände Oldenburg und Braunschweig, die im Bundesverband ihr Eigenleben neben der „CDU in Niedersachsen“ führen. Der Braunschweigische Landesvorsitzende Frank Oesterhelweg war in Althusmanns Schattenkabinett als Umweltminister vorgesehen. Zum Kabinett Weil II gehört der Landwirt, einer der wenigen konservativen Vertreter in der Fraktion, nicht. Das für die Union wichtige Agrarressort ging wie vor der Wahl geplant an Barbara Otte-Kienast, die bisherige Vorsitzende der Landfrauen, die nicht im Landtag sitzt.

Neuer Kultusminister ist Grant Hendrik Tonne. Er war in der vorigen Legislaturperiode Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, hatte jedoch den Wiedereinzug über die Landesliste verpaßt. Der Politiker aus Nienburg hatte sich jahrelang ein Wahlkreisbüro mit dem damaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy geteilt, der 2013 über die„Nacktbilder-Affäre“ gestürzt war. Die CDU nahm an diesem Umstand vor drei Jahren noch Anstoß. „Vielleicht ist es diese besondere Nähe, die es Herrn Tonne jetzt so schwer macht, sich unmißverständlich von Edathy zu distanzieren“, kritisierte der damalige CDU-Generalsekretär Ulf Thiele (JF 10/14). Innenminister bleibt Boris Pistorius (SPD). Der wegen einer Vergabeaffäre unter Beschuß geratene bisherige Wirtschaftsminister Olaf Lies (JF 26/17) wird künftig dem Ressort für Umwelt und Energie vorstehen.