© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Was den Separatismus Kataloniens angeht: Mit konservativer Genugtuung stellt man fest, daß wenigstens in Madrid noch Männer sitzen, die wissen, was staatliche Autorität ist. Natürlich hat es seinen Reiz, sich auszumalen, daß an Stelle der Staatenbildung Englands, Frankreichs und Spaniens im Mittelalter ein angevinisches Reich entstanden wäre, das über den Kanal ausgegriffen und sich von Calais bis in die Gascogne erstreckt hätte, und daß an der Küste des Mittelmeers – vom Süden der Iberischen Halbinsel über Okzitanien bis ins Piemont – ein katalanisches Imperium errichtet wurde, sonnendurchflutet und von heiterer Lebensart. Aber so ist es nicht gekommen, und das hat Gründe.

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Reformationsjubiläum, retrospektiv A: Der theologische Ertrag des Luther- oder Reformationsjubiläums ist denkbar dürftig. Aber nicht einmal die Hauptursache dafür hat man beim Namen genannt: Die denkbaren Alternativen sind seit mehr als hundert Jahren bekannt und umrissen. Petrifizierung und Versektung, Anpassung an den Zeitgeist, Fortschritt in Richtung aufs „Spirituelle“, das heißt eine mehr oder weniger individualisierte, mehr oder weniger diffuse Variante der Religiosität. Alle die, die zwischenzeitlich geglaubt hatten, daß man das Problem durch Wiederbelebung der Offenbarungstheologie lösen könne, durch Anpassung an die linke Generaltendenz oder eine radikale Enkulturation, sind gescheitert. Ihnen gemeinsam war die Überzeugung, daß der Vorrat an Glaubens-tradition noch genügen werde. Aber das hat sich als Irrtum erwiesen. Ein Irrtum, von dem diejenigen, die ihn begingen, entweder gar nicht oder nur sehr schweren Herzens oder nur insgeheim loskamen.

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Reformationsjubiläum, retrospektiv B: Zu den Werken Luthers, die den Heutigen am peinlichsten sind, gehört neben der Judenschrift vor allem sein Buch „Vom unfreien Willen“. Im Grunde gab es nur eine sehr kurze Phase – die der „Lutherrenaissance“ und ihrer Auswirkung auf die „Dialektische Theologie“ –, als das anders war. 1924 erschien die Übersetzung von Justus Jonas, ergänzt um ein Nachwort von Friedrich Gogarten, dessen Inhalt mit großer Wucht allem ins Gesicht schlug, was im Evangelischen als „modern“ galt, weil Gogarten feststellte, daß „die Freiheit als das besondere Charakteristikum des Protestantismus abzulehnen“ sei: „Damit soll die Befreiung, die der Protestantismus der katholischen Kirche und dem Mittelalter gegenüber vollzogen hat, nicht im geringsten geleugnet werden. Aber es soll behauptet werden, daß diese Befreiung nicht um einer schlechthinnigen Freiheit willen vollzogen wurde, als sei die Freiheit das erste und letzte Wort, das zur Welt zu sprechen wäre. Es soll gesagt werden, daß diese Befreiung erfolgte um einer anderen Bindung willen als die katholisch-mittelalterlich war.“ Gogarten meinte, daß die Bindung, die Luther wollte, die „Bindung an die Wirklichkeit“ war, und daß es zur Tragik des Protestantismus gehöre, diese Bindung nicht verwirklicht zu haben, daß er vielmehr „der Welt diese Bindung schuldig geblieben ist und die Welt in das Chaos ihrer Schrankenlosigkeit hat gleiten lassen“.

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Man fragt sich doch, warum so viele deutsche Edelbrennereien ihre Trester auf Cognac trimmen. Ein guter Trester schlägt jeden Grappa, aber wer Cognac will, kauft Cognac.

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Die ganze Debatte über das Thema „Mit Rechten reden“ hat etwas Nervtötendes. Wobei nur noch zu klären ist, ob man den gönnerhaften Tonfall der Befürworter oder die Hysterie der Gegner des Dialogs schlimmer finden muß. Selbstverständlich hat man früher Rechte an der Debatte beteiligt. Selbstverständlich ist Oswald Mosley wie Malcolm X vor der Oxford Union aufgetreten, standen Arnold Gehlen und Helmut Schelsky neben Alexander Mitscherlich und Jürgen Habermas im Autorenverzeichnis des Merkur, wurde Armin Mohler vom Evangelischen Kirchentag um eine Stellungnahme gebeten und Alain de Benoist von Le Monde, veröffentlichten Hellmut Diwald und Peter Brandt in einem Sammelband. Aber das waren Zeiten, als Liberalität im eigentlichen Sinn oder konservative Toleranz den Ton angaben. Seitdem es die Linke tut, ist es nichts mehr mit der Meinungsfreiheit, denn die Linke hat ein Problem mit der Freiheit überhaupt. Nicht erst seit gestern, immer schon.

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Die Black Student Alliance at Yale kann einen entscheidenden Erfolg verbuchen. Seit mehr als einem Jahr hat sie eine Petition umlaufen lassen, in der verlangt wird, daß kein farbiger Student des Faches Englisch gezwungen werden dürfe, weiße Autoren wie Geoffrey Chaucer, Shakespeare etc. zu lesen. Dieser Forderung hat die Leitung der Elite-Universität in New Haven im US-Bundestaat Connecticut jetzt nachgegeben, was bereits zu Überlegungen Anlaß gibt, inwiefern man Frauen nötigen dürfe, die Texte von Männern, Homosexuelle die Texte von Heterosexuellen zur Kenntnis zu nehmen.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 1. Dezember in der JF-Ausgabe 49/17.