© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Das selbstgemachte Geschenk
Bosnien-Herzegowina: Der türkische Präsident Erdogan setzt auf die bosnischen Muslime und die Expansion
Hans-Jürgen Georgi

Im Kampf um die Länder des Balkans sieht sich die EU den Einflußversuchen insbesondere Rußlands und der Türkei gegenüber. Betrachtet man den Warenaustausch der Republik Bosnien-Herzegowina (BiH) so wird deutlich, wer für das „leibliche Wohl“ der dortigen Bewohnerschaft sorgt. So umfaßte der Export Bosnien-Herzegowinas (BiH) in die Länder der EU während der ersten drei Quartale 2017 etwa 2,9 Milliarden Euro, allein nach Deutschland 593 Millionen Euro. Der Export in die Türkei belief sich auf nur 146 Millionen Euro.  Während also die Mägen vom Westen gefüllt werden, fliegen die Herzen aus BiH den „Brüdern“ in der Türkei zu. 

Steigende Spannung zwischen den Völkern 

Seit einigen Monaten hat der türkische Präsident eine neue Offensive auf dem Balkan gestartet. Während sein Besuch in Serbien, Anfang Oktober, vorrangig wirtschaftliche Gründe hatte, wird das stärkere Engagement der Türkei in BiH von heftigen ideologischen Vereinnahmungen der bosnischen Muslime begleitet. Eine wichtige Rolle spielen dabei die gemeinsame Vergangenheit im Osmanischen Reich und die damit verbundene Präsenz des Islam. Mit dem Ausgreifen der Türkei auf das multiethnische BiH wachsen wieder einmal die Spannungen zwischen den konstituierenden Völkern, den Muslimen (Bosniaken) mit 50,7, den Serben mit 30,7 und den Kroaten mit 15,2 Prozent Bevölkerungsanteil. 

Neue Unruhe brachte eine Äußerung des Mitglieds des BiH-Präsidiums Bakir Izetbegovic. Anläßlich des 14.Todestages seines Vaters Alija Izetbegovic hatte er daran erinnert, daß der ehemalige BiH-Präsident auf dem Totenbeet dem damaligen türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan „Bosnien als amanet“ überlassen habe. Ein „amanet“, türkisch „emanet“, bedeutet „anvertrautes Gut“, „Bewahrung“ oder „Hinterlassenschaft“.  Erdogan interpretiert es so, daß die Türkei eine Art von Schutzmacht für Bosnien-Herzegowina und der dortigen Muslime ist.

Erstmals öffentlich sprach der damalige türkische Premier von diesem „amanet“ im Sommer 2012, also neun Jahre nach Alija Izetbegovics Tod. Obgleich Erdogan zu verschiedenen Gelegenheiten die besondere Rolle Bosniens „in den Herzen der Türken“ und Alija Izetbegovic als „weisen Mann“ hervorgehoben hatte, war davon, soweit nachvollziehbar, nie zuvor die Rede.  

Ob Alija Izetbegovic diese Art „Konstantinischer Schenkung“ wirklich gemacht hat, düfte sich nicht mehr nachvollziehen lassen. In der Diskussion um das „amanet“ und um seine Person aber wird der Blick wieder einmal auf die „Islamische Deklaration“ gelenkt. Das Werk schrieb der damalige Rechtsanwalt und gläubige Muslim um das Jahr 1970. Aber erst mit dem Jahr 1983 wurde es breiter bekannt, denn wegen dessen Inhalt stand Alija Izetbegovic zusammen mit 13 Glaubensbrüdern in Sarajevo vor Gericht. 

Die „Islamische Deklaration“ ist ein Erweckungsbuch für Muslime und trägt den Untertitel: „Ein Programm zur Islamisierung der Muslime und der muslimischem Völker“. In diesem Programm, das sich an die Länder der muslimischen Welt wendet, wird immer wieder die Verbindung von Islam und Politik betont: „Die Geschichte kennt nicht eine wirklich islamische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine politische Bewegung war. Das ist deshalb, weil der Islam ein Glaube ist, aber gleichzeitig auch eine Philosophie, eine Moral, eine Ordnung der Dinge, ein Stil, eine Atmosphäre – mit einem Wort, eine integrale Art des Lebens.“ 

Diesem totalitäten Anspruch entsprechend wird auch die „Unvereinbarkeit des Islam und eines nichtislamischen Systems“ festgestellt: „Es gibt weder Frieden noch Koexistenz zwischen ‘islamischen Glauben’ und nichtislamischen gesellschaftlichen und politischen Institutionen“.   

Auch wenn Alija Izetbegovic als Präsident der Republik Bosnien-Herzegowina keineswegs diese Maximen in ihrer Radikalität umgesetzt hat oder umsetzen konnte, ruft die Rückbesinnung auf den „weisen Mann“ und seine „Schenkung“ bei den Vertretern der anderen Völker Unbehagen hervor. Statt sich mit solchen „fremden Dummheiten“ zu beschäftigen, solle man die Perspektiven des kriselnden Landes BiH und der andauernden Abwanderung der Jugend im Auge haben. Zwar könne ein Mann vielleicht sein Eigentum verschenken und „einzäumen“, aber nicht einen Staat, ließ sich zum Beispiel der Sicherheitsminister von BiH, Dragan Mektic, vernehmen. 

Auch wenn die Erwähnung des „amanet“ dieses Mal von Bosnien ausging und Bakir Izetbegovic seinen Vater so interpretierte, daß er schon 2003 in Erdogan den kommenden Mann gesehen habe, so darf doch vermutet werden, daß Erdogan selbst hinter diesem „amanet“-Aufruhr steht. Denn er meldete sich einen Tag später aus der Türkei und erweiterte die Schenkungsgeschichte noch. Als er erstmals 2012 öffentlich darüber berichtete, ist nichts davon gesagt worden, was er Alija Izetbegovic nun in den Mund legte: „Tayyip, Ihr seid die Nachkommen des Sultan Fatih (des Eroberers), dieses Gebiet ist euer amanet, deshalb bewahrt es.“  

Spätestens seit Sommer übt Ankara zunehmend Einfluß auf dem Balkan und insbesondere auf Bosnien-Herzegowina aus. Neben den Ausbau wirtschaftlicher Aktivitäten will Erdogan den Weiterbau eines umstrittenen Verwaltungsgebäudes der Islamischen Gemeinschaft in BiH finanzieren, das 2008 mit dem Geld des Libyers Muammar Gaddaffi begonnen wurde. Und obgleich Alija Izetbegovic in den vergangenen Jahren in BiH fast vergessen war, wurde unvermittelt angekündigt, daß das türkische Fernsehen eine Serie über Alija Izetbegovic drehen würde. Als sie nun anläßlich des diesjährigen Todestages uraufgeführt wurde, trug sie den bedeutungsschwangeren Titel: „Alija, das letzte Bollwerk des Islam“.