© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Land in Sicht
Deutsche Marine: Nach Jahren der Sparzwänge steht unsere Flotte vor umfangreichen Modernisierungen
Hans Brandlberger

Die Tiefwassererprobung, die das deutsche U-Boot U35 ausgerechnet im Kattegat unternahm, nahm im Oktober ein unerfreuliches Ende. Offenbar stieß es beim Tauchgang an einen Felsen. Bei der Kollision wurde ein Ruderblatt beschädigt. Immerhin gelang es der Crew noch, die Kieler Werft HDW anzusteuern. Dort wird der Schaden nun untersucht.

Normalerweise stoßen Havarien dieser Art auf keine größere Beachtung, doch U35 hatte ein Alleinstellungsmerkmal. Es war das einzige einsatzfähige U-Boot, über das die Deutsche Marine zum Zeitpunkt des Unfalls noch verfügte. Ihre Flotte ist heute per se sehr überschaubar. Der Bestand an „Unterwassereinheiten“ ist von 24 im Jahr 1990 auf nur noch sechs geschrumpft. Von diesen sind derzeit vier bei HDW in der Instandsetzung. Die beiden anderen warten im Marinestützpunkt Eckernförde auf ihren Termin. Hier ist das 1. U-Boot-Geschwader zu Hause: Es ist nicht nur das erste, sondern auch das einzige der Marine.

Der beschämende Klarstand ist nicht darauf zurückzuführen, daß das Personal, seien es Besatzungen oder Logistiker, unzureichend qualifiziert wäre. Die Ausbildung der Marine ist unverändert auf hohem Niveau. Auch an technischer Qualität der Waffensysteme mangelt es nicht. Ihr Hersteller ThyssenKrupp Marine Systems mit seiner Werft HDW gehört weltweit zu den Marktführern im Bau konventioneller U-Boote. Immer wieder gelang es der Deutschen Marine, mit ihren Einheiten der Klasse U212A auf Manövern sogar die amerikanischen Partner zu verblüffen. Der geringen Geschwindigkeit von getaucht 20 Knoten (etwa 37 Stundenkilometern) steht der fast lautlose Antrieb gegenüber, der es erlaubte, sich so nahe an Flugzeugträgerverbände der US Navy heranzuschleichen, daß sie dem Torpedobeschuß hilflos ausgesetzt gewesen wären.

Der Grund für das Malheur ist vielmehr ein simpler und bürokratischer. In den langen Jahren ihres rigiden Sparkurses meinte die Bundeswehr, bei der Ersatzteilbevorratung den Rotstift ansetzen zu können – und dies nicht allein bei ihren U-Booten. Was die Folgen sein würden, war allen Entscheidern klar, ohne daß sie es hätten ändern können, da die Etatvorgaben eben nicht mehr zuließen. Anders als etwa eine Spedition, die eine Fahrzeugflotte aus Serienmodellen betreibt, können Streitkräfte Ersatzteile für ihr Großgerät nicht von heute auf morgen am Markt beschaffen. Sie werden individuell auf Bestellung produziert, und das dauert mal mehr mal weniger lange.

Dieses Problem dürfte jedoch, so hofft zumindest die Bundeswehr, bald der Vergangenheit angehören. Die in der vergangenen Legislaturperiode eingeläuteten „Trendwenden“ auf den Feldern Finanzen, Ausrüstung und Personal betreffen insbesondere auch die Materialerhaltung. Dennoch wird sich die Marine wohl mindestens bis Ende nächsten Jahres gedulden müssen, bis wieder vier ihrer U-Boote einsatzfähig sind.

Ab 2027 darf sie immerhin mit der Aufstockung um zwei neue rechnen. Sie sind Bestandteil einer deutsch-norwegischen Vereinbarung, in deren Rahmen vier weitere Einheiten der Klasse U212A durch den nordischen Nato-Partner beschafft werden. Es ist geplant, auch bei Ausbildung, Übungen, Instandhaltung sowie der Schiffsbewaffnung zusammenzuarbeiten. Ziel ist es, weitere Staaten in die Kooperation einzubeziehen. Die Niederlande und vielleicht auch Polen sind mögliche Kandidaten.

Ob die Trendwenden Bestand haben oder als ein Strohfeuer verglimmen, hängt angesichts der üppigen Haushaltslage heute nur mehr vom politischen Willen ab. Es ist nicht ausgeschlossen, daß schon mit der neuen Regierungskoalition die Verwässerung einsetzt. Ursula von der Leyens Ankündigung, der Bundeswehr bis 2030 130 Milliarden Euro für Investitionen in neue Ausrüstung zur Verfügung zu stellen, sah aber sowieso von Anfang an vor, daß das Gros der Mittel erst in den 2020er Jahren fließen würde. Eine Regierung, die aus den Bundestagswahlen von 2021 hervorgeht, muß sich dadurch nicht gebunden fühlen. Deutschland hat zwar der Nato mehrfach versichert, den Verteidigungsetat Schritt für Schritt zu erhöhen, bis er zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes entspricht (derzeit sind es knapp über 1,2 Prozent). Eine parlamentarische Mehrheit für entsprechende Haushaltsgesetze wird aber kaum zu finden sein.

Zur Abschreckung reicht es nicht mal ansatzweise

Trotz dieser politischen Unwägbarkeiten kann die Marine aber von einer Trendumkehr ausgehen. Noch nie war ihre Flotte so klein – ein Schicksal, das sie mit anderen europäischen Seestreitkräften, allen voran der einst so imposanten britischen Royal Navy, teilt.

Dies wird sich schon in näherer Zukunft ändern. Die Indienststellung der Fregatte „Baden-Württemberg“, der ersten der Klasse F125, steht kurz bevor. Drei weitere werden bis 2020 folgen. Zum Ende der vergangenen Legislaturperiode wurde im Eilverfahren noch der Bau von fünf weiteren Korvetten der Klasse K130 beauftragt. Die Kritik, daß hier mit Mitteln der Industriepolitik Wahlkampf betrieben worden sei, ist zwar nicht gänzlich unberechtigt. Die Marine benötigt diese Einheiten allerdings dringend, um der Führungsrolle, die ihr die Nato in der Sicherung der Ostsee zugedacht hat, gerecht zu werden. Die Ausschreibung für mindestens vier Mehrzweckkampfschiffe (Klasse MKS180) ist im Gange. Die Fregatten der Klassen F123 und F124 und die Einsatzgruppenversorger werden umfangreich modernisiert.

Schiffsbewaffnung künftig auf Seekampf ausgerichten 

Gleiches gilt für das fliegende Gerät, das die Marine betreibt. Erforderliche Maßnahmen, um die Lebensdauer der acht 2006 von den Niederlanden übernommenen Seefernaufklärer P-3C Orion zu verlängern, sind beauftragt. Frankreich und Deutschland haben die Absicht erklärt, gemeinsam ein Nachfolgemodell zu entwickeln. Die veralteten und kaum noch einsetzbaren Bordhubschrauber des Typs „Sea King“ werden ab Ende 2019 durch den „Sea Lion“ (MH90) abgelöst.

Damit wäre die Aufgabenliste zur überfälligen Erneuerung der Marine allerdings noch längst nicht abgearbeitet. Auch die Betriebsstofftanker, Tender und Flottendienstboote müssen in den 2020er Jahren ersetzt werden.

In den Fokus rückt aber nicht allein die bloße Zahl verfügbarer Schiffe, sondern auch ihre operative Auslegung. Über nahezu zwei Jahrzehnte war die Marine darauf ausgerichtet, patrouillenartige Einsätze zu fahren: wie etwa zur Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika oder zur Embargoüberwachung vor der Küste des Libanon. Entsprechend war die Schiffsbewaffnung auf Selbstschutz und weniger auf die Bekämpfung anderer Kriegsschiffe oder von Zielen an Land konzipiert. Auch die Bevorratung von Munition und Flugkörpern war eher symbolisch als durchhaltefähig. Zur Abschreckung einer russischen Bedrohung, zu der sich die Nato heute veranlaßt sieht, ist dies nicht einmal ansatzweise ausreichend. Umzudenken ist erforderlich, und dies wird sich nicht in Strategiepapieren erschöpfen können, sondern erhebliche Kosten nach sich ziehen.

Mit Geld allein ist der Marine jedoch nicht geholfen. Als ihre kritische Ressource, und dies gilt für die Bundeswehr insgesamt, tritt mehr und mehr das Personal zutage. Bereits heute können zahlreiche hoch spezialisierte Dienstposten nicht mehr besetzt werden. In ihrer Not verfolgt die Marine zwei Behelfsstrategien. Zum einen forciert sie die Reduzierung der Besatzungsstärken durch weitgehende Automatisierung. So fährt eine Fregatte der Klasse F124 mit knapp 250 Mann. Eine F125 kommt mit weniger als der Hälfte aus. Zum anderen wagt sich die Marine an das Mehrbesatzungsmodell. Eine F125 soll bis zu zwei Jahre im Einsatz sein können. In dieser Zeit werden die Besatzungen mehrfach ausgetaucht, um die Belastungen für das Personal zu reduzieren und damit den Dienst attraktiver zu machen. Diese Intensivnutzung soll durch eine Vielzahl von Innovationen in Schiffskonstruktion, Antrieb, IT und Logistik möglich werden. Schon in wenigen Jahren wird sich zeigen, ob hier bloß der Wunsch Vater des Gedankens war oder die Marine tatsächlich den Königsweg gefunden hat, auch mit knapp bemessenem Personal ihre stetig wachsenden Aufgaben zu meistern.

(Grafiken siehe PDF)

Foto: In Überarbeitung: Die Fregatte F213 „Augsburg“ liegt im Mai 2016 in einem Dock der Hamburger Werft Blohm und Voss. Noch nie war die deutsche Marine so klein wie heute. Und es mangelt an allen Ecken und Enden chronisch an Ersatzteilen. Das soll anders werden.