© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/17 / 17. November 2017

Ländersache: Berlin
Mit dem Mangel leben müssen
Peter Möller

Der Uniformierte betritt ein türkisches Internet-Café in Berlin-Kreuzberg. „Ey, das ist eine Polizeikontrolle“, sagt der Beamte, fängt an zu lachen und umarmt eine Reihe von Männern zur Begrüßung. Schnell entwickelt sich ein vielstimmiges Gespräch – auf türkisch.

In den Augen der Berliner Polizeiführung und des rot-rot-grünen Senats ist diese Szene ein Zeichen für die politisch gewollte neue „Vielfalt“ bei der Polizei – bei immer mehr Bürgern löst sie nach den Berichten über die Zustände an der Polizeiakademie in Spandau (JF 46/17) und eine mögliche Unterwanderung durch arabische Familienclans Unbehagen aus.

In den vergangenen Tagen ist deutlich geworden, daß die Kritik an den Zuständen bei der Ausbildung des Polizei-Nachwuchses, der aus immer mehr Einwanderern besteht, nur die Spitze des Eisberges ist. In der Berliner Polizei brodelt es gewaltig – und auch der zuständige Innensenator Andreas Geisel (SPD) gerät stärker unter Druck.

Daran hat auch der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber vom rechten Parteiflügel seinen Anteil. Schreiber kritisiert im Tagesspiegel, daß es in der Polizei „keine offene Diskussions- und Fehlerkultur“ gebe, für die Öffentlichkeit werde alles schöngeredet. Es gebe genug Beispiele von Strafversetzungen oder Beförderungsstopp für Beamte, die sich kritisch äußerten. Kein Beamter traue sich mehr mit seinem Namen in die Öffentlichkeit – aus Angst vor Sanktionen. Aus diesem Grund hat der streitbare Sozialdemokrat nun sogar eine E-Mail-Adresse eingerichtet, unter der Polizeibeamte anonym und vertraulich ihr Leid klagen können. „Wenn Polizeibeamte aus ‘Angst’ anonym bleiben wollen, dann weißt du, welcher Geist bei der Führungsebene eine Rolle spielt!“, twitterte Schreiber zudem unter dem Hashtag „Kleine DDR“: Eine offene Kampfansage an Polizeipräsident Klaus Kandt und den Innensenator.

Die Polizeiführung bemüht sich unterdessen um Schadensbegrenzung. Bei einer Sondersitzung des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses zu den Zuständen bei der Polizeiausbildung versuchte Kandt die Probleme kleinzureden. „Niemand, der sich beschwert, kann etwas belegen“, behauptete er. Das gelte auch für die angebliche Unterwanderung der Polizei durch die Organisierte Kriminalität. Am Montag schloß der Polizeipräsident zudem aus, daß unabhängige Experten die Zustände an der Polizeiakademie, an der vor allem Auszubildende mit Migrationshintergrund häufig unangenehm auffallen sollen, unter die Lupe nehmen. Das könne er sich nicht vorstellen, sagte Berlins oberster Polizist dem RBB: „Ich wüßte auch nicht warum.“

Gleichzeitig versuchte Kandt Druck von der Polizeiführung zu nehmen und spielte den Ball an die Politik zurück. Er machte die jahrelange Sparpolitik mitverantwortlich für Mißstände bei der Polizei, die zuletzt auch wegen schwerer Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Attentäter des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche, Anis Amri, in die Kritik geraten war. „Die Politik hat über Jahre massiv gespart, wir kämpfen täglich mit den Folgen: zuwenig Personal, marode Schießstände, alte Ausrüstung“, sagte Kandt dem Tagesspiegel. Und er nahm den Berlinern jede Hoffnung auf Besserung: „Wir werden auch noch lange mit einer Art Mangelwirtschaft leben. In den nächsten Monaten gehen zum Beispiel zahlreiche Kollegen in Rente.“