© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Frisch gepresst

Belgien 1914. Die mittlerweile zur „herrschenden Meinung“ erstarrte Anklage der irischen Historiker John Horne und Alan Kramer lautet, Soldaten des deutschen Heeres hätten, als sie 1914 in Belgien einmarschierten, dort in großem Umfang Kriegsverbrechen begangen, Zivilisten getötet und Kulturdenkmäler geschändet, nicht weil sie völkerrechtlich korrekt auf Heckenschützen reagierten, sondern besessen waren von „Psychosen“ und aus typisch deutsch-barbarischer Lust an der Grausamkeit töteten (JF 33/04). Obwohl ihre Arbeit auch von Laien mühelos als Aufguß der damals achtzig Jahre alten Entente-Propaganda identifiziert werden konnte, fielen die Reaktionen der bundesdeutschen Zeithistoriker, die selbst nichts zu diesem brisanten Forschungsthema je beigetragen haben, überwiegend positiv aus. Neues Leben hauchte der Diskussion erst 2016 die voluminöse Studie von Gunter Spraul ein, der gestützt auf Archivquellen sowie auf Hunderte von Regimentsgeschichten, Horne und Kramers Apologie belgischer Franctireurs als pure Geschichtsklitterung entlarvte (JF 12/16). Wie der pensionierte Studiendirektor Spraul außerhalb des geschichtlichen Establishments stehend, hat nun der Kunsthistoriker Ulrich Keller, auf breiterer Archivbasis als Spraul operierend, dessen Fundamentalkritik vollendet. Selten, so schreibt der Erste-Weltkrieg-Experte Gerd Krumeich im Vorwort, habe ihn ein Buch in den letzten Jahren „ähnlich mitgenommen und dann überzeugt“. (wm)

Ulrich Keller: Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017, gebunden, 435 Seiten, Abb., 44,90 Euro





Migration. Der Tenor der Aufsatzsammlung des Düsseldorfer Philosophen Frank Dietrich hat trotz seiner bekundeten Absicht, weder der Abschottung von Staaten noch einer ungezügelten Einwanderung das Wort zu reden, eine eher gesinnungsethische Schlagseite. Die bis 2015 gängige EU-Migrationspraxis geißelt er sogar als „europäisches Grenzregime“. Dennoch kommt er in seiner explizit als Fluchtgrund auch die Suche „nach besseren Lebensbedingungen“ einschließenden Analyse an einer Feststellung nicht vorbei: „Ein grundlegendes Recht, das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zeitweise oder dauerhaft zu besiedeln, ist bis heute in keinem völkerrechtlich relevanten Menschenrechtsdokument anerkannt worden.“ (bä)

Frank Dietrich (Hrsg.): Ethik der Migration. Philosophische Schlüsseltexte. Suhrkamp  Verlag, Berlin 2017, broschiert, 262 Seiten, 18 Euro