© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Mit einer Taube Schach spielen
Zwei Bücher bringen den Dialog nicht voran, sondern nutzen den Gegner nur zum Verächtlichmachen und zur Selbstvergewisserung
Ludwig Witzani

Die Turbulenzen auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse haben gezeigt, daß sich das Meinungsmonopol des linken Lagers  seinem Ende zuneigt. Noch können rechte Verlage stigmatisiert werden, aber es funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Es gibt frechen Widerspruch von rechter Seite, der sich nicht mehr ohne weiteres wegbürsten läßt. „Nun sind sie halt da“, könnte man mit Angela Merkel sagen, und es stellt sich die alte leninsche Frage: Was tun? 

Das scheint in etwa der Ausgangspunkt des Autorenteams Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn zu sein, die sich zusammengetan haben, um das Problem der „Neuen Rechten“ auf eine neue Art anzugehen. Nach Ignorieren, Verbieten oder Verteufeln ist nun „Mit Rechten reden“ angesagt. Das hört sich gut an, und tatsächlich enthält das Buch eine Reihe von Thesen, die man in dieser Form in einem großen Verlag noch nicht gelesen hat. Erstaunt erfährt man, daß Rechte auch Rechte haben, daß viele Ansichten der Rechten „ein Körnchen Wahrheit“, manche sogar „einen wahren Kern“ enthalten. Daß die Rechte allein von ihren Nazi-Rändern her definiert wird, finden die Autoren unfair, denn das rechte Meinungsfeld ist heterogen und reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. Dementsprechend elastisch ist der Begriff des Rechten: Rechts ist der, der „rechts spricht“, das heißt sein Unbehagen an der Politik der „Eliten“ äußert.  

Miteinander gesprochen werden aber kann nach Meinung der Autoren nur,  wenn Linke und Rechte ihre Debattenblockaden beenden. Die Linke müsse aufhören, die Gegenseite mit Moralisierungen auszugrenzen, die Rechte sollte endlich ihr perfides „Sprachspiel“ beenden. Perfide sei es deshalb, weil „sprachspielende“ Rechte immer eine Dichotomie voraussetzten, die aus einem „ihr“ und wir“ bestehe, um dann der eigenen Position „Natürlichkeit“ und common sense zu unterstellen. Ergänzt werde diese Unterstellung durch ein geschicktes Hin- und Herspringen zwischen Provokation und Opferrolle, wobei das erste das zweite erst ermögliche.   

Selbstüberschätzung und sachliche Unterkomplexität

Sind Moralisierungen und Sprachspiele suspendiert, ist die Hauptarbeit fast schon getan. Dann kann die freie und faire Debatte beginnen, über deren Ausgang sich die Autoren keine Sorgen machen. Denn wenn wirklich offen und fair diskutiert würde, brächen die Positionen der Rechten zusammen wie ein Kartenhaus. Diese Selbstgewißheit ist rührend, aber fatal, denn sie verleitet die Autoren dazu, im letzten Teil des Buches einige Kostproben solch erwartbarer Argumentationstriumphe darzustellen. Diese letzten vierzig Seiten sind die interessantesten und kuriosesten Passagen des Buches. Interessant sind sie, weil man hier erkennen kann, wie treuherzig man sich im Mainstream die Welt zurechtlegt. Kurios sind sie, weil sie lauter Märchenerzählungen enthalten, an deren Ende regelmäßig die Rechte mit heruntergelassenen Hosen dasteht. 

So werden in der Argumentationsskizze zur Grenzöffnung die Rechtsgutachten der ehemaligen Bundesverfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Udo Di Fabio durch die Stellungnahmen zweier unbekannter Rechtswissenschaftler „widerlegt“. Schwupps ist der Verfassungsbruch zwar nicht vom Tisch, aber relativiert. Auch bei der Frage der Identität ist es nach Meinung der Autoren nicht schwer, die Rechten in die Sackgasse zu führen. Man muß sie nur hartnäckig fragen, was sie unter Identität verstehen, denn dann kommt man notwendigerweise auf das Dritte Reich zu sprechen, und schon steht der Rechte auf dem Schlauch. Oder er enttarnt sich als Nazi, was natürlich noch besser wäre. Bei der Diskussion über den Islam werfen die Autoren den Rechten vor, daß ihr Islambild genau der Vorstellung entspricht, die der IS vom Islam besitzt. Über die entsprechenden Koransuren, die genau diesen Bezug rechtfertigen, erfährt der Leser ebensowenig wie über den Charakter des Islams als einer nichthistorisierten Schriftreligion.  

So scheitert die gute Absicht des Buches an einer Mischung aus argumentativer Selbstüberschätzung und sachlicher Unterkomplexität. Das hindert die Autoren übrigens nicht daran, der „nicht besonders denkstarken“ rechten Seite in permanenter Oberlehrerattitüde gegenüberzutreten. „Selbst wenn ihr Feinde des Grundgesetzes seid“, heißt es an einer Stelle gönnerhaft, „das Grundgesetz ist nicht euer Feind.“  

Demgegenüber ist das Buch von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld „Mit Linken leben“ frei von jeder Mimikry. Lichtmesz und Sommerfeld, die das Verhältnis von Linken und Rechten aus dezidiert rechter Perspektive beleuchten, verwerfen gleich zu Anfang die therapeutische Perspektive und kennzeichnen das Kommunikationsdilemma kurz und knapp als ein „Ich sehe-was-was-du-nicht-siehst-Spiel“. Auch was politische Urteile betrifft, nehmen sie kein Blatt vor den Mund. In enger Anlehnung an die Moralphilosophie des Amerikaners Jonathan Haidt verstehen sie politische Urteile als „Bauchurteile“, exakter gesprochen: als hochemotionale Stellungnahmen zu den Ereignissen der Welt, die erst nachträglich mit Fakten und Argumenten unterfüttert werden. 

Allerdings beziehen sich diese „Bauchurteile“ – Lichtmesz und Sommerfeld nennen sie die „Geschmacksknospen unserer moralischen Matrix“ – auf ganz unterschiedliche Moralfelder, als da sind: Fürsorge für andere, Fairneß und Reziprozität, Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe, Respekt gegenüber den Institutionen, Sakralität religiöser Symbole. Während die Linke bei der moralischen Beurteilung der Welt die beiden ersten Felder (Fürsorge und Reziprozität) stark übergewichtet, geht es dem Rechten eher um Loyalität, Autorität und Sakralität. So bewegen sich Linke und Rechte buchstäblich in anderen moralischen Biotopen, was das komplette gegenseitige Unverständnis wenigstens teilweise erklärt. 

Soweit der Befund. Wie aber soll man damit umgehen? Welche Empfehlungen bietet das vorliegende Buch für die Auseinandersetzung mit der anderen Seite? Nun, es sind wenige. Der Grund dafür ist einfach: Die Autoren halten die Protagonisten der anderen Seite für komplett vernagelt. Dementsprechend besitzen die Hinweise für das „Leben mit Linken“ rein taktischen Charakter. So sollte man sich immer darüber im klaren sein, mit welcher Erscheinungsform des Linksseins man es zu tun hat – Lichtmesz und Sommerfeld unterscheiden nicht weniger als dreizehn Typen – und sich ihnen gegenüber mit genauen Kenntnissen über die „linke Klischeekiste“ und mit Selbstbehauptungstechniken wie „Gaslighting“ „Agree and amplify“, „Derailing“ oder „Frame/Reframe“ verteidigen. Die Hoffnung, dabei irgendjemanden überzeugen zu können, hegen Lichtmesz und Sommerfeld nicht, denn mit Linken zu streiten „ist, wie mit einer Taube Schach zu spielen. Egal, wie gut du Schach spielst, die Taube wird alle Figuren umwerfen, auf das Brett kacken und herumstolzieren, als hätte sie gewonnen.“ 

Die Autoren legen sich keinerlei Zurückhaltung auf und schenken auf der Grundlage bitterer persönlicher Erfahrungen der anderen Seite kräftig ein. Für Leser, die eine ätzende Kritik des Linksseins schätzen, wird das vorliegende Buch die rechte Freude sein. Für den Aufbau einer Debattenkultur, in der sich die Vertreter linker und rechter Standpunkte gleichberechtigt mit offenem Debattenende begegnen aber leistet es nichts – ganz einfach, weil Lichtmesz und Sommerfeld derlei Verständigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt für Augenwischerei halten. „Konsens ist eine Illusion, voreilige Versöhnungen ein passiv aggressiver Hinterhalt, auch wenn einzelne naive Linke sie aufrichtig zu meinen glauben“, heißt es dazu klipp und klar. Ist der Antagonist der anderen Seite bei Leo, Steinbeis und Zorn der leicht beschränkte Depp, den man mit gewieften Argumenten noch überzeugen kann, erscheint er beim rechten Autorenduo als der Feind, gegen den man sich behaupten muß.

So ist das Buch von Lichtmesz und Sommerfeld das konfrontativere, aber auch das ehrlichere Buch, weil es mit offenem Visier daherkommt. Sein Ziel ist keine als Dialog getarnte Überwältigung des anderen, sondern eine reflektierte Selbstvergewisserung des eigenen „rechten“ Standpunktes. Sein Wert besteht in einer fast enzyklopädischen Neuvermessung der Kampfzone aus rechter Sicht.

Per Leo, Maximi-lian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn: Mit Rechten reden. Ein Leitfaden. Klett-Cotta, Stuttgart 2017, broschiert, 183 Seiten, 14 Euro

Martin Lichtmesz, Caroline Sommerfeld: Mit Linken leben. Verlag Antaios, Schnellroda 2017, broschiert, 336 Seiten, 18 Euro