© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Der „Feiertyp“ unterminierte die Weimarer Demokratie
Symbolpolitisches Versagen: Reichsgründungsreden während der Agonie der ersten deutschen Republik
Oliver Busch

Fernab vom unruhigen Berlin, wo die Linke unter Führung der KPD zwei bewaffnete Anläufe nahm, um eine deutsche Sowjetdiktatur herbeizuputschen, tagte die im Januar 1919 gewählte Nationalversammlung in Weimar, um die Weichen in Richtung parlamentarische Demokratie zu stellen. Schon am 11. August 1919 konnte sie dann, mit der Mehrheit der Stimmen von SPD, katholischem Zentrum und der linksliberalen DDP, verabschiedet werden, die neue Verfassung des Deutschen Reiches.

Daß die Weimarer Republik vierzehn Jahre später bereits verschwunden war, führt der emeritierte Duisburger Sozialhistoriker Dirk Blasius auch auf die Unfähigkeit ihres Führungspersonals zurück, politische Symbole zur Identifikation der Bürger mit ihrem Staat einzusetzen (Der Staat, 2/2017). So schwelte etwa zwischen Schwarz-Rot-Gold-Republikanern und ihren an Schwarz-Weiß-Rot festhaltenden Gegnern ein nie geschlichteter „Flaggenstreit“. Überdies fehlte es an einem Nationalfeiertag. 

Dafür hätte sich der 11. August, der Verfassungstag, angeboten. Doch an seine Aufwertung als gesetzlicher Feiertag schien selbst die staatstragende „Weimarer Koalition“ desinteressiert. Mehr als kurze Festakte, zuletzt in der Bürgerkriegsatmosphäre des Sommers 1932, fanden zum 11. August, der zudem unglücklich in die Ferienzeit fiel, nie statt. Dies sei ein bemerkenswertes symbolpolitisches Versagen gewesen, findet Blasius. Was doppelt schwer wog,  weil die akademische Elite seit 1920 mit dem an jeder Universität und Hochschule begangenen „Reichsgründungstag“ am 18. Januar, günstig mitten im Wintersemester gelegen, ein attraktives Gegenangebot zur Identifikation mit dem von Bismarck 1871 aus der Taufe gehobenen monarchischen Einheitsstaat unterbreitete.

Der „totalitären Versuchung Vorschub geleistet“

Auf einem verblüffend wackligen Textgerüst argumentierend, gezimmert aus einigen Reden der Staatsrechtler Wilhelm Kahl, Carl Schmitt und Rudolf Smend, konzentriert sich Blasius auf die letzten Reichsgründungsfeiern in der „Krise der Republik“, zwischen 1930 und 1932, um zu zeigen, daß der Parteienstaat nicht allein deswegen unterging, weil seine Verteidiger sich als „konsensunfähig“ erwiesen, sondern weil er permanent durch „konkurrierende Legitimitätsvorstellungen unterminiert“ worden sei. Der „Feiertyp“, der die Erinnerung an den 18. Januar 1871 zelebrierte, zementierte die Distanz zur republikanischen Ordnung. Die fortwährende Beschwörung des „starken Staates“, wie ihn das Bismarckreich verkörperte, habe daher die „Segmentierung der politischen Kultur“ vertieft und schließlich dann der „totalitären Versuchung Vorschub geleistet“.   

Blasius verbeißt sich hier einmal mehr, wie jüngst in seinem Vergleich mit dem bis 1934 in Königsberg lehrenden Historiker Hans Rothfels (JF 12/17), in Carl Schmitt als „Wegbereiter“ und „Vordenker“ des NS-Staates. Dessen Reden, genausowenig wie die Kahls und Smends, offenbaren jedoch, wie die Vokabel „Versuchung“ wohl andeuten möchte, keineswegs die psychische Dispositionen eines „autoritären Charakters“, der auf den „Führerstaat“ hinarbeitet. Vielmehr quälen sich vor allem Schmitt und Smend mit der gerade heute, wo in westeuropäischen Nationaldemokratien die Fliehkräfte in dem Maß zunehmen, wie ihnen die Zerstörung durch Massenmigration droht, wieder virulenten Frage ab, wie ein zivilisiertes Zusammenleben in modernen, weltanschaulich pluralistischen Gesellschaften zu organisieren ist. Daß die „Selbstintegrierung der Gesellschaft zum Staat“ (Schmitt) im demokratischen Parteienstaat von 1930 weniger glückte als im wilhelminischen Obrigkeitsstaat war offensichtlich. Diesen Staatsverfall zu thematisieren und Alternativen zu erörtern, war die Aufgabe von Staatsrechtslehrern, die ihr Amt ernst nahmen.