© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

In den Widerstand genötigt
In Leipzig sind zwei bemerkenswerte deutsche Dokumentarfilme uraufgeführt worden
Sebastian Hennig

Es herrscht Festivalstimmung in Leipzigs Innenstadt. Fachpublikum und die Presse huschen während des sechzigsten Internationalen Festivals für Dokumentar- und Kurzfilm von einem Kino ins nächste. Das Programm dieser sieben Tage ist dicht gepackt. Der Zugang zum Filmtheater im ersten Stock des Einkaufszentrums Petersbogen muß hinter einer Baustelle gesucht werden. Angeregt wird im Saal 6 geplaudert, ehe es mit einer Viertelstunde Verspätung losgeht. Als die junge Frau neben mir ihrem Sitznachbarn höflich „Viel Spaß“ wünscht, gibt der zu bedenken, daß hier Spaß nicht das richtige Wort sei. (Amüsanterweise lautet der Werbespruch des Kinobetreibers „So macht Kino Spaß“.)

Wer nun hinter diesen Skrupeln einen Dokumentarfilm über Krieg, Katastrophe oder Völkermord vermutet, der irrt. Mit „Montags in Dresden“ von Sabine Michel gelangt ein abendfüllender Dokumentarfilm über Pegida zur Uraufführung. Der Mitteldeutsche Rundfunk ist an dieser Produktion beteiligt. Der Film ist nominiert für den Publikumspreis der Stiftung Friedliche Revolution. Deren stellvertretender Vorsitzende, Michael Kölsch, sprach pflichtgemäß von einer „authentischen und entlarvenden Auseinandersetzung“, als das linksalternative Stadtmagazin Kreuzer den Film am Mittwoch als „naiv“ bezeichnete und beanstandete, daß darin „unkommentiert drei ‘Pegida’-Fritzen ihren Unsinn verbreiten“ könnten.

Diese Wortwahl spricht für sich. In Zeiten, in denen Künstler in einem Ausstellungsprojekt des Museums Kreuzberg-Friedrichshain ironiefrei dafür werben können, afrikanische Drogendealer als kühne Entrepreneurs zu würdigen, haben Andersdenkende den Mund zu halten. Das ist letztlich aber nicht nur sittlich unwürdig, sondern auch intellektuell unredlich. Dokumentarfilme zeigen die Wirklichkeit aus dem Blickwinkel ihres Autors. Sie erheben nicht den Anspruch, eine Wahrheit zu verbreiten. Das Staunenswerte an diesem Film besteht vor allem darin, daß sich unter diesen Umständen überhaupt drei Menschen bereit fanden mitzuwirken. Im Hinblick auf die Nominierung des Films für den Publikumspreis „Leipziger Ring“ sagte Kölsch weiter, wenn der Saal „zu drei Vierteln mit Pegidisten gefüllt sein sollte“, werde man eine „gute und gerechte Lösung“ finden. Daß klingt nun schon beinahe drohend. Wahrscheinlich wird das Ergebnis mit einem Pegida-Koeffizienten verrechnet, um die gedachte Gerechtigkeit herzustellen.

Sabine Michel ist selbst in Dresden geboren. Bezeichnenderweise sagt sie von sich, nach dem Abitur „... zog ich weg in die Welt“. Ihr letzter Film „Zonenmädchen“ (JF 47/13) handelte davon und zeigte ungewollt, daß es kein Entkommen gibt. Doch Dresden ist auch die Welt und Herkunft bedeutet Zukunft. Und in diesem Falle geht es nur darum, ob in der eigenen Herkunft oder jener von Fremden die Zukunft der Gesellschaft gegründet ist.

Treue Freundschaft und begründete Heimatliebe

Auch René Jahn lokalisiert Dresden außerhalb der Welt. Von diesem richtigen Leben im falschen der BRD möchte er, daß es bleibe. Darum hat er gemeinsam mit einer Gruppe von Freunden im Herbst 2014 die Abendspaziergänge ins Leben gerufen. Er wirkte mit, bis die Nerven dem Dauerfeuer der Medien nicht länger standhielten. Ein wenig scheint es ihm leid zu tun, daß er sich mit seinem Verhalten zum Kronzeugen eines vielbeschrieenen Abdriftens nach rechts machen ließ. Aber davon ist wenig die Rede. Seit dem Rechtsbruch des September 2015 läuft er montags wieder mit. Dem Film geht es auch nicht um internen Brüche. Er enthält sich jeder investigativen Denunziation. Michel fokussiert vor allem die positiven Beweggründe, welche eher stille Zeitgenossen in den offenen Widerstand nötigen. 

Seinen Rückzug aus dem Orga-Team bezeichnet Jahn im Film verlegen gravitätisch als das Niederlegen eines Amtes. Der sächsische Ministerpräsident dieser Krisenzeit, Stanislaw Tillich, hat eben dies keine zwei Wochen zuvor getan. Jahn sinniert über die vorangegangene Biedenkopf-Ära in Sachsen. Damals war keiner dafür und dagegen. Alles sei „völlig ruhig und entspannt“ gewesen. Der schockierende und beflügelnde Anfangserfolg von Pegida war das Ergebnis treuer Freundschaft und einer so besonnenen wie begründeten Heimatliebe. Das wird immer wieder deutlich in den Äußerungen der drei Protagonisten von „Montags in Dresden“. Neben René Jahn kommen Sabine Ban aus Dresden und Daniel Heimann aus Pirna zu Wort. Die Alleinerziehende umsorgt ihren autistischen Sohn, und der Unternehmer hat als frommer Katholik und Kind von schlesischen Vertriebenen wesentliche Ausgrenzungserfahrungen schon in der DDR gemacht. 

„Erstmal ein Zuhören und Ernstnehmen“, sagte Michel in einem Interview. Ja und als zweites, ist man versucht zu fragen. Der ebenso redliche wie redselige René Jahn dreht sich bereits in der aufgestellten Gesprächsfalle wie der Hamster im Rad.

Wer auf die erwartbaren Ergebnisse der nachfolgenden Diskussion verzichten mochte, der konnte im Eilschritt das Stadtzentrum durchmessen, um im Passagekino eine weitere Uraufführung und  zugleich eine mögliche Teilantwort auf das Entstehen des regierungskritischen Widerstandes von Dresden zu erleben. Auch dort war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Martin Farkas hat an seinem Film „Über Leben in Demmin“ zu arbeiten begonnen, bevor der Demminer Massensuizid Anfang Mai 1945, der von sowjetischen Vergewaltigungen, Plünderungen und Brandschatzungen begleitet war, 2015 mit dem Buch „Kind, versprich mir, daß du dich erschießt“ von Florian Huber endlich überregionale Aufmerksamkeit erhielt. Drei Jahre hat er an dem Film gearbeitet und dafür über Monate in Demmin gewohnt. 

Aufklärung kommt nicht nur von Abgeklärten

Während der Arbeiten an einem Kurzfilm in Demmin wurde er im Mai 2013 Zeuge eines Trauermarsches rechtsradikaler Demonstranten für die Opfer von Demmin. Diese uneindeutigen Bilder ließen ihn nicht mehr los. Im anschließenden Gespräch bekennt er, die Aggression habe ihn beeindruckt und ihm die Frage nach dem Hintergrund nahegelegt, die auch eine Frage nach der eigenen Herkunft einschloß. Was er von denen, die zu reden bereit waren, vernahm, hat ihn zeitweise in Zustände versetzt, in denen aufgeben wollte, weil er „an der Schwere des Stoffes verzweifeln wollte“. Eine alte Frau gibt das Motto für seine Bemühungen vor: „Wer das vergißt, der ist nicht in Ordnung.“ Farkas hat sehr fein beobachtet, mit Sorgfalt montiert und ist gleichwohl willkürlichen Spitzfindigkeiten aus dem Weg gegangen. Dennoch wird während der Vorstellung auf Kosten der Demminer der jüngeren und mittleren Generation gelacht, was einerseits nachzuvollziehen ist, andererseits aber bleibt für die Lacher zu hoffen, daß sie sich heimlich oder irgendwann auch bewußt dafür schämen werden.

Die Fehlstellen dieses Films, der nur einen Anfang markieren kann, liegen nicht in der Quantität der beschriebenen Tatsachen und ihrer Folgen, sondern in der Intensität seiner Erzählung. Daß diese Auslassungen kenntlich bleiben, macht eine Qualität von „Über Leben in Demmin“ aus. Zwei Zuschauer verweisen in der anschließenden Diskussion darauf. Da meldet sich ein junger Leipziger, der 1983 in Demmin geboren wurde und einer der neun von zehn Abiturienten seines Jahrgangs ist, die ihre Vaterstadt verlassen haben. Es ist ihm die Trauer anzumerken, daß er nicht in Demmin bleiben konnte, um heute die Verhältnisse vor Ort mitzugestalten. Er wuchs dort in einem Haus mit vier alten Frauen auf, deren Vergewaltigung bekannt war, da sein Vater sensibel genug war, sie zum Erzählen zu bewegen. Sie hätten ihm im Arm gelegen und geweint, nach langer Zeit noch. Das sei alles gegenwärtig bis heute für den, der es wissen wolle, öffentlich jedoch immer noch kein Thema.

Abschließend stellte er mit Nachdruck fest, daß der Film sehr an der Oberfläche kratzen würde. Der Regisseur gibt das sofort zu und berichtet von einigem Material, das keinen Eingang finden konnte. Frakas stellt die rhetorische Frage: „Welche Details wollen wir sehen, was ist in einem aufklärerischen Sinn noch ein Gewinn?“

Dann fragt eine ältere Dame auf englisch nach den Kindern, die aus den Vergewaltigungen hervorgegangen sind. Martin Frakas erwähnt eine Person mit sibirischem Gesichtsschnitt, die durch Demmin nur schleicht. Sie wollte er im Film nicht bloßstellen, weil sie keinen anderen Ort als diese Stadt hat, um sich zu bergen. Hier werden die Grenzen der dokumentarischen Arbeit deutlich.

Die sachte Art, mit welcher der Regisseur die Rechtsextremen und ihre Sympathisanten befragt, ist gerechtfertigt durch die Tatsache, daß ohne deren etwas rabiate Demonstration das Thema wohl weiterhin völlig unter den Tisch gekehrt würde. So kommt eben Aufklärung nicht immer nur von den vermeintlich Abgeklärten. Diese Paradoxe dürfen sich in „Über Leben in Demmin“ abbilden. Wie sie es im einzelnen tun, wird sich zeigen, wenn der Film im Januar in die Kinos gelangt. Zuvor soll es noch eine exklusive Vorstellung in Demmin geben.