© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/17 / 10. November 2017

Präsident Park und das Wunder vom Han-Fluß
Südkorea: Der Aufstieg zu einem der führenden Industrieländer wäre ohne die Modernisierungspolitik des Putschgenerals kaum gelungen
Albrecht Rothacher

Als Japan 1945 kapitulierte und aus seiner Provinz Chosen Nord- und Südkorea entstanden, war der sowjetisch besetzte nördliche Landesteil bevorzugt: Dort befanden sich der Bergbau und zwei Drittel der Schwerindustrie. Die japanische Kolonialmacht hatte Kraftwerke, Eisenbahnlinien und Straßen vor allem dort errichtet, Kriegszerstörungen gab es kaum. Der Süden war, als er unter amerikanischen Einfluß geriet, das Armenhaus.

Der Koreakrieg (1950 – 1953), bei dem mehr Bomben fielen als während des Zweiten Weltkriegs auf Deutschland, verwüstete beide Landesteile. Der Wiederaufbau gelang dank chinesischer und sowjetischer Hilfe im Norden zunächst schneller – doch schon Ende der sechziger Jahre zog der Süden am Norden vorbei. Heute liegt Südkorea beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf nach Weltbankrechnung mit 27.539 Dollar vor dem EU-Schnitt von 25.589 Dollar. Beim schnellen Internet ist Südkorea inzwischen vor Skandinavien Weltmeister.

Fünfjahrespläne entschieden über die Zukunftsindustrien

Der Aufstieg zum Industrieland ist nicht zuletzt Park Chung-hee zu verdanken, dessen Geburtstag sich am 14. November zum hundertsten Mal jährt. Der General, der 1961 durch einen Putsch an die Macht kam und der das Land bis zu seiner Ermordung 1979 regierte, gilt als Vater des modernen Südkoreas. Mit einer rücksichtslosen Modernisierungspolitik – und dank der bis heute anhaltenden Protektion durch die USA – hat er es zu einer der führenden Export- und Technologienationen gemacht.

Angesichts der Bedrohung durch den Norden zögerte der Autokrat nicht, gelegentlich das Kriegsrecht auszurufen, linke Dissidenten zu verfolgen und die Pressezensur einzuführen. Mit Steuer­erleichterungen, Staatskrediten und Schutzzöllen begünstigte Park Chung-hee Exportbetriebe. Fünfjahrespläne entschieden über die Zukunftsindustrien. Eine mächtige Planungsbürokratie überwachte den Wirtschaftskurs. Werften, Stahlhütten, Kunststoff- und Auto­werke wurden auf Regierungsbefehl aus dem Boden gestampft. Ingenieurteams mußten importierte Pkws so lange auseinandernehmen und zusammenbauen, bis sie ihre Herstellung verstanden und erste Prototypen selbst fertigen konnten.

Damit schuf Park aus Kleinbetrieben jene Konglomerate, die als „Chaebol“ heute von Samsung über Hyundai und Lotte die Wirtschaft, ihre Exporte und die Industrieforschung beherrschen. Ohne Unterlaß ließ der 1963 zum Präsidenten gewählte General Autobahnen und neue Industrieparks einweihen. Gleichzeitig förderte er in dem bildungsbeflissenen Land, in dem 1945 noch viele Analphabeten waren, die Massen- und die Hochschulbildung. Dank der Niedriglöhne konnte sich die südkoreanische Wirtschaft binnen zweier Jahrzehnte vom Agrarland mit einigen Textil- und Holzfabriken zu einem der führenden Hersteller von Stahl, Schiffen, Automobilen sowie Petrochemie- und Elektronikerzeugnissen entwickeln.

Ungerechtigkeiten, Umweltschäden und soziale Spannungen blieben nicht aus. Park ließ alle Proteste unterdrücken, nichts sollte den Aufstieg aufhalten. Während Park dem japanischen Muster der aufholenden Entwicklung, das sich seinerseits am preußischen Modell des späten 19. Jahrhunderts orientiert hatte, folgte, wurde Südkorea zum meist unerreichten Vorbild für andere Entwicklungsländer. Mit acht Prozent Wachstum im Jahr zog sich die südkoreanische Wirtschaft mit eigener Kraft und etlichen US-Krediten aus dem Sumpf der Unterentwicklung. Analog zur „Deutschland AG“ – der Verflechtung zwischen heimischem Finanz- und Industriekapital – schuf Park die „Korea Inc.“ Gleichzeitig vernachlässigte er nicht die Entwicklung der ländlichen Räume, aus denen fortgesetzt Arbeitskräfte dank der damals noch gebärfreudigen Bauernfamilien in die Fabriken der Städte abwanderten.

Mit seiner „Neues Dorf“-Selbsthilfeinitiative, die sich auf kollektive Traditionen der Dorfgemeinschaften stützte, wurden ähnlich wie im Genossenschaftswesen Japans Bewässerungssysteme, Lagerhäuser und die Weiterverarbeitung in der kleinbäuerlichen Agrarstruktur gefördert. Parks Japan-Orientierung kam nicht von ungefähr. Er wurde 1917 als siebtes Kind einer armen Bauernfamilie in der Kleinstadt Gumi (heute das „Silicon Valley“ Südkoreas) geboren. Sein Abitur finanzierte er mit Nachhilfeunterricht. Zunächst arbeitete er als Volksschullehrer, bis er 1940 unter dem japanischen Namen Masao Takaki in die Armee des 1934 von Japan geschaffenen Mandschurischen Kaiserreichs trat.

Härte, Effizienz, Disziplin und Rücksichtslosigkeit

Dort stieg Park 1942 als Klassenbester der Kadetten in die japanische Militärakademie auf. 1946 wurde er vom neuen koreanischen Heer übernommen, doch zwei Jahre später als angeblicher Kommunist verhaftet. Mit dem Ausbruch des Korea­kriegs wurde er 1950 remobilisiert und konnte später die koreanische Generalstabsakademie absolvieren. Seine Kameraden dort sollten seine Mitputschisten gegen das korrupte Rhee Syng-man-Regime werden, das er 1961 als Generalmajor in einem gewaltlosen Staatsstreich mit 250 Offizieren beseitigte.

Die Ziele des Revolutionsrates waren die Ausrottung der Korruption, die Schaffung einer neuen Moral, der Anti-Kommunismus, das Bündnis mit den USA und der Aufbau der Wirtschaft. Das Herrschaftsinstrument war neben dem Geheimdienst KCIA eine staatlich begünstigte nationalkonservative Partei (DRP). Nach US- und französischem Vorbild führte Park ein straffes Präsidialregime ein, in dem alle Macht vom „Blauen Haus“ ausging und Ministerpräsidenten nur Befehlsempfänger waren. Eine zersplitterte Opposition erleichterte das Geschäft.

Mit Japan verband Park eine Art Haßliebe. Einerseits hatte er das japanische Militär wegen seiner Härte, Effizienz, Disziplin und Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und andere stets bewundert, andererseits hatte er die kulturelle Unterdrückung durch ihr Kolonialregime als Patriot immer verabscheut. Dennoch gilt er für Linksnationale als Kollaborateur, der trotz aller Widerstände schon 1965 die Beziehungen zur einstigen Kolonialmacht normalisierte.

Mit dem kommunistischen Nordkorea trat Park 1971 in Geheimverhandlungen – und dies, obwohl von dort Selbstmordkommandos mit Terroraufträgen über die Grenze geschickt wurden. Im August 1974 fiel seine Frau Yuk Young-soo einem solchen Anschlag, der eigentlich ihm gegolten hatte, zum Opfer. Zudem wurde Südkorea von den Ölkrisen hart getroffen. Streiks und Studentendemonstrationen eskalierten. Auch christliche Kirchen kritisierten das Park-Regime. Als am 26. Oktober 1979 bei einer feuchtfröhlichen Privatfeier der Geheimdienstchef Kim Jae-kyu von Parks Stabschef wegen seiner Laschheit gegenüber den Protesten hart kritisiert wurde, zog jener – im Affekt oder geplant bleibt unklar – die Pistole und erschoß den Präsidenten, seinen Stabschef und ihre Leibwächter.

2012 wurde Parks Tochter Park Geun-hye als Kandidatin der 1997 gegründeten Freiheitspartei zur Präsidentin gewählt. Sie war nach dem Tod ihrer Mutter mit 22 Jahren von ihrem Studium in Frankreich nach Seoul zurückgerufen worden, um – bis zum Regierungsende ihres Vaters – als First Lady zu fungieren. Zu einer echten Demokratie wurde Südkorea erst vor dreißig Jahren, unter Präsident Roh Tae-woo. Doch politische Turbulenzen, gewalttätige Streiks und Korruption blieben nicht aus. Park Geun-hye versprach eine „ökonomische Demokratisierung“, eine Kontrolle der übermächtigen Chaebol, mehr Sozialausgaben, höhere Mindestrenten, geringere Studiengebühren und Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit.

Auf Platz 11 der Volkswirtschaften der Welt

Mit ihrem nostalgischen Abglanz nach dem „Wunder am Han-Fluß“, mit dem ihr Vater das Land aus der Massenarmut geholt und Seoul zur glitzernden Zehn-Millionen-Metropole gemacht hatte, folgte ihr die Mehrheit der Wähler. Doch angesichts gebrochener Wahlversprechen und mangelnder Empathie nach dem Sewol-Unglück (die gekenterte Fähre riß 302 Passagiere, darunter viele Kinder, mit in den Tod) wurden sie bitter enttäuscht. Schließlich stolperte Park Geun-hye über eine Spendenaffäre und wurde im März dieses Jahres vom Verfassungsgericht amtsenthoben.

Dennoch liegt das nur 51,3 Millionen Einwohner zählende Südkorea mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1,41 Billionen Dollar derzeit auf Platz 11 der Volkswirtschaften der Welt. Der Außenhandelsüberschuß betrug 2016 – trotz Exportrückgangs – 89,2 Milliarden Dollar. Bei den Währungsreserven liegt das Land mit 377 Milliarden Dollar auf Weltrang acht. Die Staatverschuldung beträgt lediglich 38,6 Prozent des BIP. Deutschland, das 1963 bis 1977 noch Zehntausende Krankenschwestern und Bergarbeiter mit Drei-Jahres-Verträgen aus Südkorea anwarb, liegt mit 68,3 Prozent auf fast dem doppelten Niveau.

Deutsch-Koreanische Außenhandelskammer:  korea.ahk.de





Freihandelsabkommen EU-Südkorea

Im Juli 2011 trat das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea in Kraft und es profitierten vor allem EU-Firmen von dem Vertrag. Die Ausfuhren der EU nach Südkorea stiegen seit 2010 um 59,2 Prozent – von 28 auf 44,5 Milliarden Euro im Jahr. Die Einfuhren aus Südkorea wuchsen kaum: aus 39,5 Milliarden wurden 41,4 Milliarden. Hingegen erhöhte sich der Anteil der EU an den Gesamteinfuhren Koreas von 9,1 auf 12,8 Prozent, wodurch die EU nach China zur zweitgrößten Einfuhrquelle Südkoreas wurde. Hauptverantwortlich für das positive EU-Handelssaldo ist Deutschland: Der Wert deutscher Ausfuhren lag 2016 bei 17,2 Milliarden Euro (über die Hälfte waren Fahrzeuge und Maschinen), was bei einem Import von 7,7 Milliarden Euro einen Überschuß von 9,5 Milliarden ergab. Haupteinfuhrgüter waren Elektronik und E-Technik von Samsung, LG & Co. Die Autos von Hyundai und Kia kommen hingegen meist aus Tschechien und der Slowakei.

Jahresbericht 2017 über das Abkommen: eur-lex.europa.eu