© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/17 / 03. November 2017

„Mitentscheidend für die politische Stabilität“
Schulden: Der Deutsche Städtetag warnt vor Investitionsstau in den Kommunen
Paul Leonhard

Die Mehrzahl der deutschen Städte ist seit Jahrzehnten in einer prekären Situation: Die Politik denkt sich ständig höhere Standards etwa bei den Sozialausgaben aus, läßt die Kommunen aber auf einem Großteil der daraus entstehenden Kosten sitzen. Und die vermeintlichen Geschenke, die Förderprogramme des Bundes, sorgen dafür, daß viele Oberbürgermeister auf Druck ihrer Stadträte – es würden ja sonst Fördermittel verfallen – Geld für Projekte wie Platzumgestaltungen ausgeben, die eigentlich unnötig oder zumindest nicht vorrangig sind. 

Bund dauerhaft an Kosten für Integration beteiligen

Wo es überall im argen liegt, hat der Deutsche Städtetag, ein Zusammenschluß aller kreisfreien und der meisten kreisangehörigen Städte, in denen rund 52 Millionen Bundesbürger leben, in einem Forderungskatalog „an den neuen Bundestag und die neue Bundesregierung“ formuliert.

Zentrale Themen, bei denen es gravierenden Handlungsbedarf gibt, sind der kommunale Investitionsbedarf, die Einnahmesituation, Bildung, Integration, Digitalisierung und Fragen der Wohnraum-, Verkehrs- und der Klimaschutzpolitik. Die Städte fühlen sich nicht mehr als „Partner von Bund und Ländern“ respektiert. Die Oberbürgermeister beklagen „schleichende Überlastung und Fremdbestimmung“ und fordern einen „größeren finanziellen Handlungsspielraum“, um investieren zu können. Nach Angaben der KfW beläuft sich der Invesitionsstau in den Kommunen auf 126 Milliarden Euro. Flächendeckend besteht umfassender Sanierungs- und Modernisierungsbedarf.

Der Deutsche Städtetag warnt als „Stimme der Städte“ den Bund nachdrücklich davor, auf Steuereinnahmen zu verzichten. Die Gelder würden dringend zur Sicherung der Daseinsvorsorge, der öffentlichen Infrastruktur und somit einer weiterhin guten wirtschaftlichen Entwicklung benötigt, von der wiederum die Gewerbesteuer abhängt, die den Städten zugute kommt.

„Die Einnahmesituation der Städte muß langfristig und planbar verbessert werden“, heißt es in einem fünfzigseitigen Forderungskatalog, den das Präsidium des Städtetages bereits auf seiner Sitzung am 12. September in Kassel beschlossen, aber erst vergangene Woche vorgestellt hat. Befristete Förderprogramme würden keine Planungssicherheit bieten. Viele Städte sind auch nicht in der Lage, das aus wirtschaftlichen Strukturkrisen resultierende Altschuldenproblem aus eigener Kraft zu lösen. Hier müsse der Bund zusammen mit den jeweiligen Ländern als erstes Maßnahmen ergreifen, das Zinsrisiko zu verringern und dann den betroffenen Gemeinden helfen, „die Altsschulden auf ein akzeptables Maß“ zurückzuführen.

Um rund zwei Milliarden Euro steigen jährlich die Sozialausgaben der Kommunen, zumeist sind diese fremdbestimmt. Vom Bund erwarten sie, er solle seinen Anteil an den Kosten der Unterkunft erhöhen. Auch verlangen die Städte „einen verläßlichen Schutz vor nicht gegenfinanzierten Ausweitungen sozialer Leistungen“. Neue, bereits beschlossene Leistungen, insbesondere durch das Unterhaltsvorschussgesetz, das Bundesteilhabegesetz und die Pflegestärkungsgesetze sollten „seriös evaluiert und vollständig von Bund und Ländern ausgeglichen werden“.

Bezüglich der Asylbewerber und Flüchtlinge kritisiert der Städtetag, daß die Mittel für die fluchtbedingten Kosten der Unterkunft und die Integrationspauschale häufig in den Landeshaushalten hängenblieben. Asylbewerber ohne Bleibeperspektive sollen nicht länger auf die Kommunen verteilt werden. Offene Fragen im Gesundheitswesen und beim Krankenversicherungsschutz müßten endlich geklärt werden. Ausdrücklich werden die Bundestagsabgeordneten an die finanziellen Folgen des Flüchtlingszuzugs erinnert. Neben der Unterbringung betrifft das die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur. Der Bund müsse sich dauerhaft an den Kosten der Integration beteiligen.

Noch weiter geht der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, der in der Passauer Neuen Presse vor der Wiedereinführung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit begrenztem Schutzstatus warnt. Dies würde die „Integrationskraft der Kommunen überfordern“. Die neue Bundesregierung müsse sich in der Flüchtlingspolitik „nur realistische Ziele setzen, die finanzierbar sind und vor Ort auch umgesetzt werden können“. 

Um wieder an eigenes Geld zu kommen, verlangen die Städte eine Anhebung des bei 2,7 Prozent liegenden Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer sowie eine Entlastung von Sozialausgaben durch eine erhöhte Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft. Die Lebensqualität in den Städten, warnt Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetages und CDU-Oberbürgermeisterin Ludwigshafens, sei „mitentscheidend für die politische Stabilität in unserem Land“.