© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Heulen im Halteverbot
Literatur: Der konservative politische Journalist Jan Fleischhauer hat mit „Alles ist besser als noch ein Tag mit dir“ ein tragikomisches Scheidungsbuch vorgelegt
Markus Brandstetter

Ein Mann und eine Frau, beide Ende Vierzig, gehen zur Eheberatung. Sie sind seit fünfzehn Jahren verheiratet, aber in letzter Zeit häufen sich die Probleme: Sie haben getrennte Schlafzimmer, und ab und zu fliegen in ihrer schönen Altbauwohnung Töpfe und Pfannen durch die Luft. Der Mann und die Frau haben es schon einmal mit einer Paartherapie probiert, die hat aber nicht funktioniert, weshalb sie es heute bei einem neuen Therapeuten, der ganz entspannt in Pullover und Ringelsocken daherkommt, noch einmal versuchen wollen.

Als der Therapeut die beiden fragt, was sie sich denn von der Therapie erhofften, sagt der Mann, er wünsche sich nichts mehr, als wieder mit seiner Frau zusammenzufinden. Der Analytiker sagt „aha“ und fragt dann die Frau, was sie denn von der Therapie erwarte. Bis dahin hat der Mann angenommen, daß seine Frau das gleiche wie er sagen würde, aber das tut sie nicht. Sie sagt ganz im Gegenteil: „Ich habe nur einen Wunsch, und der ist, daß wir uns trennen.“ Damit hat der Mann überhaupt nicht gerechnet, weshalb ihn die Aussage seiner Frau so richtig umhaut. Und zwar dermaßen, daß er danach im Auto zu heulen anfängt und seiner Frau immer wieder seine nie erloschene Liebe beteuert, was die lediglich dazu bewegt, ihm zu erklären, daß er im Halteverbot stehe.

Der Mann und die Frau trennen sich bald danach, worauf es dem Mann ziemlich schlecht geht. Er liegt den ganzen Tag im Bett oder sitzt vor dem Fernseher, sieht sich Serien für Bildungsferne an, nimmt zehn Kilo ab und fragt sich ständig, warum ihn seine Frau denn bloß verlassen habe. Ganz schlimm wird es, als der Mann entdeckt, daß seine Ex ihn nicht wegen nebulöser Kommunikationsprobleme, sondern wegen eines gutaussehenden Mittdreißigers, der ihre Blumen gießt und regelmäßig mit ihr ins Theater – und wohl auch anderswohin – geht, verlassen hat. 

Jetzt helfen Bett und Fernseher nicht mehr, weshalb der Mann zum Psychiater geht, dem sein Leid klagt und erfährt, daß er an einer mittelschweren Depression leidet, was aber nicht so schlimm sei, da heutzutage auch die schlimmste Depression, wenn schon nicht geheilt, dann auf jeden Fall von den Symptomen her gelindert werden könne. Daraufhin nimmt der Mann abwechselnd zwei bewährte Antidepressiva mit allerdings furchtbaren Nebenwirkungen, die von Verwirrtheit über Niesanfälle bis zur Impotenz so gut wie alle menschlichen Beschwerden umfassen, aber gnädigerweise beschränkt sich sein Körper auf die Niesanfälle. Behauptet er zumindest. 

In einem ruhigen Moment, den es im Laufe dieser herzzerreißenden Scheidungs-Saga Wochen nach der Trennung auch einmal gibt, hat der Mann sich auf einer Online-Dating-Seite angemeldet. Durch die Einsamkeit kühn geworden, stürzt er sich furchtlos in den Dating-Strudel, wird binnen sechs Monaten von drei selbstbewußten Frauen ebensooft verlassen, aber dann lernt er eine sanfte, nette und überaus verständnisvolle Frau kennen, mit der er heute verheiratet ist und schon wieder ein Kind hat.

Dürre Geschichte, unterhaltsam geschrieben

Diese Geschichte ist nichts Besonderes. Jedes Jahr 2016 werden in Deutschland mehr als 160.000 Ehen geschieden – wobei die Zahl allerdings seit Jahren sinkt, der absolute Höhepunkt wurde im Jahr 2003 erreicht, als die Zahl der Scheidungen bei 213.975 lag. Zu etwas Besonderem wird diese Geschichte nur dadurch, daß ihr tragikomischer Held ein bekannter Journalist ist, der über seine Scheidung – die aber schon einige Jahre zurückliegt – jetzt ein Buch geschrieben hat. 

Der Journalist heißt Jan Fleischhauer, ist Spiegel-Online-Kolumnist und Autor, 2009 hat er mit dem Buch „Unter Linken – Von einem, der aus Versehen konservativ wurde“ einen Bestseller geschrieben. Beim Spiegel stellt er so etwas wie das konservative Feigenblatt dar, die einsame bürgerlich-konservative Insel in einem Meer von Gendertheorien, feministischen Feuilletons, nicht nur im Zweifelsfall linken Thesen und dem ständigen Niederschreiben all jener, die die Flüchtlingskrise für problematisch, die Durchsetzung des Rechtsstaates für erstrebenswert und den Islam für terrorismusaffin halten.

Jan Fleischhauer also hat nun ein 200-Seiten-Büchlein über seine gescheiterte Ehe geschrieben, das er jedoch nicht als autobiographischen Bericht bezeichnet, sondern interessanterweise als Roman. Aber schon ein kursorischer Check von Daten und Fakten zeigt, daß Fleischhauer nur das aufgeschrieben hat, was ihm selbst passiert ist, was bedeutet, daß wir es mit keinem Roman zu tun haben.

Das macht jetzt aber gar nichts, denn gute und vor allem authentische Bücher aus Männersicht über Trennung und Scheidung sind rar. Und Fleischhauer, der sein Handwerk auf der Hamburger Henri-Nannen-Schule bei Wolf Schneider gelernt hat, kann richtig gut schreiben: flüssig, präzise und oft ganz schön witzig. Lustig und unterhaltsam ist er auch in diesem Buch, zum Beispiel wenn er den Fernsehphilosophen Richard David Precht als „Helene Fischer der Philosophie“ bezeichnet. 

Aber die flotte Schreibe kann über manche Schwäche des Buches nicht hinwegtäuschen. Die ist einmal die recht dürre Geschichte, die sich der Leser dann auch noch in Trümmern und Brocken quer durch das ganze Buch zusammensuchen muß. Und die wird dann auch noch andauernd durch seitenlange Abschweifungen, zusammengegoogelte Statistiken, Binsenweisheiten („die Ehe ist der Versuch, zu zweit Probleme zu lösen, die man allein nicht hätte“) und geschmacklose Sprüche („Meine Frau war Polen, ich das Dritte Reich“) unterbrochen. Der Leser lernt unnötigerweise, daß Antidepressiva in die beiden Großgruppen SSRI und SNRI zerfallen, bekommt wieder einmal den totzitierten ersten Satz aus Anna Karenina („Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“) um die Ohren gehauen und erfährt außerdem, daß in Deutschland die durchschnittliche Ehedauer bis zur Scheidung 14,9 Jahre währt, weshalb Fleischhauers Ehe mit ihren 15 Jahren Dauer ganz genau im statistischen Mittel liegt, was jetzt nicht so interessant ist.

Am Anfang seines Buches beteuert Fleischhauer mit Verve, daß ihn „nichts im Leben so erschüttert“ habe wie das Ende seiner Ehe. Das mag sein – aber wer dermaßen in die Harfe greift, der muß auch liefern. Der muß das Drama seines Lebens leidenschaftlich, wütend und wild als Haupt- und Staatsaktion erzählen. Und wenn er richtig gut wäre, dann würde er dabei auch noch sich und seine Ex-Frau schonungslos analysieren und dem Leser vor Augen führen, wo wer wann was für Fehler gemacht hat gemäß dem Goethe-Wort: „Übrigens ist mir alles verhaßt, was mich bloß belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben.“

Fleischhauer tut kaum etwas von alledem. So kann er dem Leser nie nachvollziehbar erklären, warum seine Ehe eigentlich gescheitert ist. Fleischhauers Frau, die ihn in Wahrheit tief verletzt hat, bleibt das ganze Buch hindurch merkwürdig blaß und leblos, ein reiner Name ohne Charakter und Geschichte. Geht es einmal wirklich ans Eingemachte, verschanzt Fleischhauer sich allzuoft hinter trivialen Aussagen, die oft noch nicht einmal stimmen.

Zugewinngemeinschaft benachteiligt Männer

So stellt er fest, daß Männer „feige“ und „in Beziehungen duldsamer als Frauen“ seien. Warum? Weil 70 Prozent aller Trennungen – korrekt sind übrigens 60 Prozent – von Frauen ausgingen. Das mag sein, aber das ist kein Grund, sondern nur ein Symptom für tieferliegende Ursachen, Stichwort: Zugewinngemeinschaft. Diese benachteiligt Männer bei einer Scheidung ganz massiv. Deshalb reichen Frauen die Scheidung erst genau dann ein, wenn sie wissen, daß der Mann hohe Unterhaltszahlungen leisten muß oder ihnen der Löwenanteil des Vermögens, oft in Form von Haus oder Wohnung, verbleibt.

Ein weiterer Grund, warum Männer tatsächlich oft Angst vor einer Trennung haben, liegt darin, daß danach Frauen den Vätern häufig den Umgang mit den gemeinsamen Kindern verwehren oder die Kinder gegen die Väter aufhetzen. Bei den Fleischhauers war das, und da kann er froh sein, nicht der Fall; weder er noch seine Frau haben die gemeinsamen Töchter gegen den jeweils anderen Elternteil in Stellung gebracht. 

Also: nicht Feigheit oder Bequemlichkeit hält viele Männer von einer Trennung ab, sondern die sehr reale Aussicht auf finanziellen Ruin und die Angst davor, ihren Kindern entfremdet zu werden. Aber diese Realität interessiert Jan Fleischhauer gar nicht. Er wollte nur einen lustigen kleinen Roman schreiben über die Liebe, ihr Ende und das Leben danach.

Jan Fleischhauer: Alles ist besser als noch ein Tag mit dir. Roman. Knaus-Verlag, München 2017, gebunden, 208 Seiten, 20 Euro