© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Fahrverbote bedrohen das Handwerk
Umweltpolitik: Diesel-Lkw ohne Alternative / Pendler-, Wirtschafts- und Versorgungsverkehr in Gefahr?
Sandro Serafin

Im August gab sich Horst Seehofer noch standhaft: Fahrverbote würden „die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands“ legen. Ihre Ablehnung sei daher nicht verhandelbar. Zwei Monate später findet sich der CSU-Chef in Sondierungen mit FDP und Grünen wieder – und muß sich mit seiner Koalitionsbedingung nicht nur gegen Anton Hofreiter oder Katrin Göring-Eckardt behaupten.

Auch Abmahnvereine wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) haben sich auf den Dieselmotor eingeschossen. Und deutsche Gerichte vollziehen bei den zahlreichen DUH-Klagen lediglich das, was die Umweltgesetze, die auf Bundes- und EU-Ebene beschlossen wurden, vorsehen: Städtische Luftreinhaltepläne müssen drastisch überarbeitet werden – inklusive der Fahrverbote beim Überschreiten bestimmter Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte.

Das heißt: Egal, ob die Grünen das Umweltressort führen oder nicht, auch alle Halter der 5,92 Millionen älteren Diesel-Pkws müssen mit flächendeckenden Fahrverboten rechnen. 62 deutsche Städte – von Kiel und Hamburg über Hannover, Berlin und Frankfurt bis München – überschreiten laut DUH-Angaben derzeit die von der EU vorgegebenen Stickoxid-Grenzwerte. Auch Wirtschaftslobbyisten, die beim Dämmwahn („Energetische Gebäudesanierung“) voll auf schwarz-grüner Linie sind, schlagen nun Alarm. Die Handwerkskammer (HWK) Düsseldorf warnt vor „dramatischen Einschränkungen“ für den Wirtschaftsverkehr, sollten Dieselfahrzeuge mit Fahrverboten belegt werden. „Zehntausende Arbeitsplätze“ allein im Raum der NRW-Hauptstadt seien bedroht.

Wie die HWK herausfand, tanken rund 83 Prozent aller von Handwerkern zu unternehmerischen Zwecken genutzten Fahrzeuge in Düsseldorf Diesel: Ungleich mehr als es im Durchschnitt aller Pkws der Fall ist. Nur 15,9 Prozent fahren dabei mit der neuesten, stickoxidärmsten Euro-6-Norm. Alleine in Düsseldorf und Umgebung wären demnach 75.000 Fahrzeuge aus Handwerksbetrieben von einer Lahmlegung im Falle eines Fahrverbotes betroffen.

Erschwerend kommt hinzu: Auch Handwerksbetriebe, die selbst nicht auf Diesel-Fahrzeuge angewiesen sind, jedoch für ihre Kunden per Pkw erreichbar sein müssen – Auto-Werkstätten etwa –, hätten mit den Folgen eines Verbotes zu kämpfen. Kein Wunder also, daß 40 Prozent der Befragten angaben, sich durch Fahrverbote „sehr stark“ oder „existentiell“ bedroht zu sehen. Axel Fuhrmann, Hauptgeschäftsführer der HWK Düsseldorf, hält die Dieseltechnologie daher gerade für das Handwerksgewerbe für „vorläufig“ und „noch auf längere Sicht unverzichtbar“.

Illusorische Umstellung der Handwerksflotte

Klar ist: Schon der Elektro-Pkw ist noch meilenweit von einem Marktdurchbruch entfernt. Die Reichweiten der Fahrzeuge überzeugen nicht, die Ladeinfrastruktur ist – wenn überhaupt – nur unzureichend ausgebaut. Elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge sind derzeit bestenfalls Zukunftsmusik. Benzin-Lkws („Monster-Pick-ups“) gibt es zwar in den USA, deren Sonderzulassung in der EU ist aber kostenaufwendig. „Alternative Aggregate“, so die HWK Düsseldorf, seien bisher allenfalls „für schwächer ausgelegte Vehikel“ am Markt verfügbar. Da aber 55 Prozent der Nutzfahrzeuge im Handwerk Lkws seien und 60 Prozent mit Anhänger genutzt würden, könnten viele Firmen ihren Fuhrpark derzeit gar nicht umstellen und emissionsärmer machen. Axel Fuhrmann fordert daher eine Bestandsgarantie für die Nutzfahrzeuge im Handwerk, die sich an der üblichen Nutzungsdauer orientiert.

Selbst wenn die Umfrage nicht repräsentativ für das gesamte Bundesgebiet wäre: Die HWK Düsseldorf steht mit ihren Befürchtungen keinesfalls alleine da. Schon im September hatte die besonders betroffene Handwerkskammer im akut von Fahrverboten bedrohten Stuttgart (Dieselquote im Handwerk: 75 Prozent) angemahnt, der Wirtschaftsverkehr dürfe nicht „durch Auflagen oder generelle Fahrverbote“ erschwert werden.

Auch der traditionell regierungsnahe Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) äußerte sich bereits besorgt. Im Juli hatte der ZDH Ergebnisse einer Umfrage unter Vertretern der Handwerksorganisationen veröffentlicht, wonach nur fünf Prozent die Frage, ob Diesel-Fahrverbote für die Betriebe eine „existenzbedrohende Belastung“ darstellen würden, absolut verneinen konnten. ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer (HWK Köln) sieht die ZDH-Erkenntnisse durch die Düsseldorfer Studie einmal mehr bestätigt: „Es wird auch in Zukunft nicht möglich sein, Heizkessel auf dem Fahrrad oder in der Straßenbahn zu transportieren.“ Und ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke sandte noch vor der Bundestagswahl ein klares Signal nach Berlin: Fahrverbote, egal unter welcher Regierung, seien „völlig inakzeptabel“.

Ob diese Warnungen die künftigen Koalitionäre noch rechtzeitig erreichen und Wirkung zeigen, ist jedoch fraglich. Die künftige Bundesregierung ist bestenfalls ab Januar arbeitsfähig. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet aber schon im Februar über die Einführung von Fahrverboten. Bis etwaige schadensbegrenzende Maßnahmen der neuen Regierung überhaupt greifen können, sind die Selbstzünder längst auf justiziellem Weg aus den Innenstädten verbannt. Das käme dann – das belegen diese Zahlen einmal mehr – wohl tatsächlich einem Axtschlag gegen die Wurzeln unseres Wohlstands gleich.

Hierbei auf die Notbremse FDP zu hoffen, ist illusorisch: Die – inzwischen 55 – Umweltzonen wurden 2008 unter Schwarz-Rot etabliert, doch der Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb 2009 brachte nichts: Ältere Dieselfahrzeuge ohne „Grüne Plakette“ wurden systematisch ausgesperrt – zum Wohle der internationalen Autoindustrie und der heimischen Händler, die sich beide über den Neuwagenabsatz freuen konnten.

Sonderumfrage „Mehr Fahrverbote in Düsseldorf? Der Fahrzeugbestand des Handwerks“ :  www.hwk-duesseldorf.de





Wenig Alternativen zur Dieselflotte

Eine Umstellung der Handwerksflotte ist „kurzfristig nicht möglich – erst recht nicht fürs Baugewerbe“, warnt die HWK Düsseldorf. „Baufahrzeuge kosteten „zwischen mehreren zehntausend und mehreren Millionen Euro. Sie von innerstädtischen Baustellen auszuschließen, würde die Bautätigkeit in der Stadt mit einem Schlag lahmlegen.“ Doch selbst im Transporterbereich gibt es kaum Alternativen: Der vollelektrische Nissan e-NV200 hat nur 4,2 Kubikmeter Laderaumvolumen und 695 Kilogramm Nutzlast – bei einer realistischen Reichweite von kaum mehr als 120 Kilometern. Der elektrische Streetscooter Work der Deutschen Post (JF 3/17) darf zwar 740 Kilogramm zuladen, die Reichweite liegt aber unter 80 Kilometer. Japanische oder US-Pritschenwagen (Pickup-Trucks) mit Benzinmotor gibt es in Deutschland bislang nur über teure Privatimporteure und mit Einzelzulassung. Bleiben als Alternative derzeit nur umgerüstete Benzinfahrzeuge mit Autogasantrieb. Einige Neufahrzeuge mit Erdgasantrieb gibt es derzeit von Fiat, Ford, Iveco, MAN, Mercedes-Benz, Opel, Renault und Volkswagen.