© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/17 / 27. Oktober 2017

Der Nachwuchs rebelliert gegen Mutti
Grummeln in der CDU: Immer lauter wird der Ruf nach neuen Führungsfiguren und einer Rückbesinnung auf konservative Inhalte
Paul Leonhard

Es wird einsam um Angela Merkel. Während die Bundeskanzlerin an einem möglichen Jamaika-Bündnis der Unionsparteien mit FDP und Grünen schmiedet, trauern Teile ihrer Partei der Großen Koalition hinterher. Mit den Sozialdemokraten habe die Union in den vergangenen Jahren einiges auf den Weg gebracht, erinnerte beispielsweise Lorenz Caffier (CDU), Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister. 

„Verheerende Verluste     zum Sieg schöngeredet“

Befürchtet wird vor allem ein Einknicken Merkels in Fragen der inneren Sicherheit sowie beim Asylrecht, also jenen Themen, die die Deutschen derzeit am meisten umtreiben. Als einer der ersten wagt sich Daniel Günther, Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident, aus der Deckung. Merkel müsse klarstellen, wer in vier Jahren nach ihr das Ruder übernehmen könnte. „Unser mäßiges Wahlergebnis bei der Bundestagswahl legt uns ans Herz, personell eine Erneuerung anzugehen“, sagte der 44jährige dem Focus. Es seien „neue Gesichter in Führungspositionen“ nötig, „die dafür Gewähr“ bieten: „Wir haben so viele Persönlichkeiten in der zweiten Reihe wie seit vielen Jahren nicht.“

In Sachsen hat bereits der langjährige Ministerpräsident und CDU-Landeschef Stanislaw Tillich einen Schlußstrich gezogen und seinen Rücktritt von beiden Ämtern für Anfang Dezember erklärt. Damit stiehlt sich der Vorzeigesorbe in einer für Freistaat und Sachsen-Union kritischen Zeit aus der Verantwortung. Immerhin hinterläßt er einen Personalvorschlag: Nachdem der in Dresden-Blasewitz lebende Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der lange Zeit im sächsischen Kabinett saß, Tillich offenbar einen Korb gegeben hat, soll Generalsekretär Michael Kretschmer Nachfolger werden (siehe Porträt Seite 3).

Der 42jährige Görlitzer ist ein erklärter Kritiker der Kanzlerin und dürfte sich bei der Erneuerung der Sachsen-Union auf einstige „junge Wilde“ wie den von Tillich geschaßten Kultusminister Roland Wöller (47 Jahre), Innenpolitiker Christian Hartmann (43 Jahre), Regierungssprecher Ralph Schreiber (46 Jahre) sowie Christian Piwarz (42 Jahre), Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion, stützen. Auch wird er dem Nachwuchs in der Jungen Union Sachsen und Niederschlesien eine Chance geben. Dieser hatte kurz nach den Bundestagswahlen in einem sechsseitigen Positionspapier „einen neuen sächsischen Weg“ gefordert. Die Union müsse nicht konservativer werden, sondern „die richtigen Antworten auf aktuelle Fragen geben“, heißt es darin.

Während die Sachsen-Union einen Neuanfang wagt, fordern diesen konservative CDU-Mitglieder auch in der Bundespartei. Merkel soll als Parteichefin zurücktreten. Klartext hatte kurz nach der Wahlniederlage in Niedersachsen Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, gesprochen: Verloren habe man, weil nach der Bundestagswahl die „verheerenden Verluste von über acht Prozent zu einem strategischen Sieg schöngeredet“ wurden und im Gegensatz zu dem anderen Wahlverlierer, der SPD, den Wählern nicht signalisiert wurde: „Wir haben verstanden.“

Auch ein weiterer Verhinderer des Um- und Neudenkens in der Union soll Platz machen: Generalsekretär Peter Tauber. Am besten für CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. „Für zwei Jahre ein starker Generalsekretär, als eine Art geschäftsführender Vorsitzender, dann der Übergang“, beschreibt der Tagesspiegel ein mögliches Szenario, wie es in der Union hinter vorgehaltener Hand diskutiert wird. „Einen klaren Fahrplan für die Übergabe an einen neuen Kanzlerkandidaten der Union“ fordert die „WerteUnion“, der „freiheitlich-konservative Aufbruch“ in der Union. Ein Neuanfang sei „mit dem für die bisherige linke Ausrichtung – besonders der CDU – verantwortlichen Personal nicht möglich“. Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, äußert sich zwar nicht direkt zur Kanzlerin, lobte aber gegenüber der Deutschen Presse-Agentur den Kurs des konservativen österreichischen Wahlsiegers Sebastian Kurz: „Die Menschen in Österreich wollten frischen Wind, neue Köpfe und Klartext.“ Für die eigene Partei fordert Ziemiak eine „personelle Neuaufstellung in Regierung, Partei und Fraktion“.

In Baden-Württemberg eskalierte unterdessen der Streit um ein Positionspapier des Landesgeneralsekretärs Manuel Hagel mit dem Titel „Wach auf, CDU!“ Tenor auch hier: Die Partei müsse konservativer werden. Die Vorsitzende der baden-württembergischen Frauen-Union Inge Gräßle widersprach umgehend: Der Platz der CDU sei in der Mitte und nicht „bei irgendwelchen Sektierern“. Es brauche keinen Weckruf und schon gar keinen Rechtsruck. Konservativ könne man sogar mit frauenfeindlich gleichsetzen. Damit wiederum zog sie sich heftige Kritik aus der Jungen Union zu. Gräßle müsse sich fragen, wie sehr sie mit dem Herzen Teil der CDU sei, monierte der Vorsitzende des JU-Bezirks Südwürttemberg-Hohenzollern, Philipp Bürkle. Er warf der Frauen-Union vor, eine dringend notwendige Diskussion zu verhindern. Maulkörbe und Denkverbote seien „in höchstem Maße undemokratisch“.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Sven Rissmann, hat in einem Brief an die Basis die Parteivorsitzende für das „desaströse“ Wahlergebnis verantwortlich gemacht: „Seit einigen Jahren hat sich die CDU dahingehend degeneriert, der Bundeskanzlerin bedingungslos zu applaudieren.“ Landeschefin Monika Grütters antwortete prompt: „Die Berliner CDU steht hinter dem Kurs von Angela Merkel.“ Die hat unterdessen eine zusätzliche Klausur des Bundesvorstands angekündigt, um das Wahlergebnis zu analysieren.