© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Der Flaneur
Putz und Silikon
Andreas A. Harlaß

Die beiden jungen Bauarbeiter stehen im Rahmen einer zuvor ausgebauten Tür in einem großen Bürogebäude einer Dresdner Landesbehörde. 

Wahrscheinlich mußte ein Kabel unter Putz repariert werden, denn ein schmaler Schacht wurde in die kahle Wand gehackt. Die Zarge wurde ausgehebelt und ging dabei anscheinend kaputt. Sie liegt auf dem staubigen Flurboden neben kleinen Steinbrocken und allerhand Werkzeug. 

Nun ist es wohl die Aufgabe der beiden Männer in den hellblauen Latzhosen, mit rot-weißer Firmenstickerei auf dem Brustlatz, den Urzustand der Tür wiederherzustellen, sprich die Vertiefung wieder zu verputzen und eine neue Zarge in den dunklen Holzrahmen zu setzen.

Heute kann man von überall her brennende Fragen an den Vorgesetzten übergeben.

Betont langsam schlendere ich an ihnen vorbei und grüße freundlich: „Guten Tag, die Herren!“ Einer grüßt etwas brummig zurück, der andere grüßt überhaupt nicht. Er telefoniert. Am anderen Ende ist wohl ein Vorgesetzter oder der Chef, denn ich höre den Kopf über der Latzhose fragen: „Sollen wir dafür Putz nehmen oder Silikon?“ 

Es geht offenbar um den Wandanschluß des Türfutters und womit der Spalt verfüllt werden soll. Was der Chef antwortet, höre ich natürlich nicht. Ich bin auch schon lange an den beiden vorbei, als mir immer noch die Frage im Kopf herumschwirrt: Wie war das eigentlich noch vor etwa 25 Jahren, als es keine Mobiltelefone gab? Heute kann man ja de facto von überall her brennende Fragen an den Vorgesetzten übergeben oder im Umkehrfall von überall aus Befehle und Anweisungen über das Minigerät erteilen. 

Hätten die beiden damals wohl vor Ort selbständig entschieden, wie sie den Wandanschluß fertigstellen? Ich glaube ja, weiß es aber natürlich nicht mit Sicherheit. Wie sieht es in anderen Branchen aus: sind wir nachher alle ein bißchen weniger entschlußfreudig?