© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

„Nordatlantiker, beruhigt euch“
Vortrag: Todd Huizinga über deutsch-amerikanische Gegensätze
Thorsten Brückner

Kann Europa etwas von Donald Trump lernen? Allein die Frage ist für viele Deutsche eine Provokation. Über 90 Prozent gaben hierzulande vor der US-Präsidentschaftswahl im November 2016 an, sie würden, wenn sie wahlberechtigt wären, ihre Stimme Hillary Clinton geben. Für diese kulturelle, geistig-moralische Kluft zwischen Amerikanern und Europäern macht der frühere Diplomat Todd Huizinga, mittlerweile Dozent am Calvin College in Grand Rapids (Michigan), vor allem zwei Faktoren verantwortlich: die Religion und den Globalismus.

Ein Grundverständnis von der „Freiheit in Wahrheit“ gehe dem säkularisierten, postchristlichen Europa komplett ab, sagte Huizinga bei seinem Vortrag vorige Woche in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin. Viele Amerikaner hätten ein deutlich traditionelleres „christliches Menschenbild“, als dies in Europa der Fall sei. Dazu komme eine aus dem Glauben resultierende andere Prioritätensetzung der Amerikaner: „Politik ist nicht das Wichtigste“, betonte der Autor des Buches „Was Europa von Trump lernen kann“. Für ihn als gläubigen Evangelikalen „kann passieren, was passieren wird. Gott ist Herr.“ Anders bei den Europäern: „Wo früher der Glaube an Gott stand, steht heute die Politik.“ Denn: Wenn diese Welt alles sei, was es gebe, „muß die höchste Gerechtigkeit von Menschen und staatlicher Planung festgelegt werden“. Auch der Globalismus der Europäer, das Aufgehen der Nationalstaaten in einem vereinten Europa, sei den Amerikanern fremd. 

Für die Europäer, die durch Trump den Weltfrieden und das transatlantische Bündnis bedroht sehen, hat Huizinga an diesem Abend eine klare Botschaft dabei: „Nordatlantiker aller Länder, beruhigt euch.“ Wie tief die Unterschiede dann doch sind, zeigten die Fragen der Zuschauer. Der Versuch der US-Republikaner, die bürokratische Gesundheitsreform „Obamacare“ abzuschaffen sei gegen die Menschenwürde, empörte sich ein Gast, der sich als AfD-Mitglied zu erkennen gab. Aber schon bei Begriffen herrschte häufig gegenseitiges Unverständnis: „progressiv“ ist für Europäer ein positiv besetztes Wort, für Amerikaner die Beschreibung einer postmodernen Dekadenz und Beliebigkeit.   

Wie diese sprachlichen und geistigen Gräben zu überwinden sind, darauf fand Huizinga keine überzeugende Antwort. Vielleicht ist die Entfremdung ja auch schon so weit vorangeschritten, daß gegenseitiges Lernen erst durch gegenseitiges Verstehen einsetzen kann. Dazu hat der begeisterte Calvinist zweifellos beigetragen. Und vielleicht wären viele Europäer ja auch dann bereit, sich ein wenig für das amerikanische Denken zu öffnen, wenn dies nicht mit der Person Donald Trump gleichgesetzt wird. Der 71jährige New Yorker steht nämlich – anders als Huizinga betonte – keineswegs für jenes konservativ-traditionelle Amerika und dessen christliche Werte. Und ein moralisches Vorbild, von dem Menschen guten Willens gerne lernen wollen, ist der Chef im Weißen Haus nun beim besten Willen nicht.