© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Es wird eng und sehr teuer
Wohnungsmarkt: Masseneinwanderung treibt Preise in den Städten nach oben / Große regionale Unterschiede zwischen Stadt und Land
Christian Schreiber

Seit dem Regierungsantritt Angela Merkels ist die Zahl der Asylbewerber explodiert: Von 30.100 (2006) auf 745.545 (2016). In den ersten beiden Quartalen dieses Jahrs kamen laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weitere 111.616 hinzu. Nicht enthalten darin ist der früher oder später kommende Familiennachzug, der nur von der AfD und wenigen in der Union ernsthaft in Frage gestellt wird.

Werden zudem die Erwerbszuwanderung hinzu- und die Abwanderung gegengerechnet, ergeben sich laut Ausländerzentralregister weit höhere Zahlen: Lag die Nettoeinwanderung 2010 noch bei 180.798 Ausländern, waren es 2014 schon 676.730. Im Jahr von Merkels Grenzöffnung waren es netto 1.242.265. 2016 gab es 1,3 Millionen registrierte Zuzüge – davon über die Hälfte aus Nicht-EU-Staaten. Nach Abzug der Fortzüge ergab das einen offiziellen Wanderungssaldo von 642.897: Vergangenes Jahr kam eine Stadt so groß wie Stuttgart hinzu, 2015 waren es Frankfurt und Nürnberg zusammengerechnet.

Anhaltende Rekordzuwanderung

„Niemandem wird etwas weggenommen, weil Flüchtlingen geholfen wird“, behauptet Unionsfraktionschef Volker Kauder. Die Flüchtlingskosten ließen sich aus den laufenden Steuereinnahmen bezahlen, so der CDU-Spitzenpolitiker. Daß mit den jährlich 30 Milliarden Euro pro eine Million Flüchtlinge (CSU-Entwicklungshilfeminister Christian Schmidt/ein Zehntel der Steuereinnahmen des Bundes) die Umsatzsteuer um ein Drittel gesenkt werden könnte, ist das eine. „Als Folge der Rekordzuwanderung von 2015 und der vorausberechneten hohen Nettomigration für die Folgejahre bleibt der lange erwartete Bevölkerungsrückgang in Deutschland bis 2035 aus“, gibt inzwischen auch das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) zu. Die IW-Bevölkerungsprognose von 2016 rechnet mit 83,1 Millionen Einwohnern.

Berlin wachse „auf über vier Millionen Einwohner an, was einem Zuwachs von 14,5 Prozent entspricht“. München folgt mit 14,1 Prozent, Hamburg legt 9,1 Prozent zu. Und es könnten noch viel mehr werden: Die zukünftige Entwicklung sei „mit Unsicherheit behaftet“, so das IW, „denn Entwicklungen wie Kriege, Krisen oder Katastrophen können nicht prognostiziert werden“. Kritisch zu beobachten sei, „ob die Wohnungsmärkte und die vorhandene Infrastruktur in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg den vorausberechneten Bevölkerungsanstieg verkraften können“.

Gab es 2001 noch sechs Prozent freie Wohnungen bei den Firmen des größten Immobilienverbands BBU in Berlin, waren es 2016 noch 1,6 Prozent. 26.600 Wohnungen standen 2001 wegen „Vermietungsschwierigkeiten“ (Lage, Ausstattung) längerfristig leer – 2016 waren es nur noch 700. Zur Entspannung des Wohnungsmarkts seien laut BBU in Berlin jährlich mindestens 20.000 zusätzliche Wohnungen notwendig, fertiggestellt wurden 2016 nur 13.659.

Damit liegt die Hauptstadt vor Hamburg (7.700), München (7.400) oder Frankfurt (4.300). Hinzu kommt: Nur 58 Prozent der Berliner Neubauten sind Mietwohnungen. Die Angebotsmieten stiegen 2016 um drei Prozent. Eine einfache 75-Quadratmeter-Wohnung war ab 615 Euro (kalt) zu haben – für Neubauten jenseits der „sozialen Brennpunkte“ wurde das Zwei- bis Dreifache verlangt. Eigentumswohnungen kosteten im Schnitt 2.800 Euro je Quadratmeter – zehn Prozent mehr als im Vorjahr.

Wer glaubt, die Wohnungsnot beschränke sich auf die vier deutschen Millionenstädte oder die zehn Städte mit über einer halben Million Einwohnern, der irrt. Auch ausländische Zuwanderer konzentrieren sich längst nicht mehr auf einige Metropolregionen. 27 der 77 deutschen Großstädte mit über 100.000 Einwohnern sind „von 2009 bis 2014 überdurchschnittlich gewachsen, 32 gewachsen“, heißt es in einer Studie für die DGB-nahe Böckler-Stiftung.

Dies repräsentiere bereits 85,7 Prozent der Großstadtbewohner und 26,8 Prozent der Gesamtbevölkerung. „In diesen 59 Städten kann mit zunehmenden Spannungen auf dem Wohnungsmarkt gerechnet werden.“ Nur in neun Ruhrgebietsgroßstädten gab es bis 2014 einen Bevölkerungsrückgang. Lediglich 13 Großstädte besaßen in diesem Zeitraum einen schrumpfenden Wohnungsmarkt – neben neun NRW-Städten waren dies Chemnitz, Halle, Magdeburg, Saarbrücken und Würzburg.

40 Prozent der Haushalte an der Belastungsgrenze

Im Durchschnitt hat die CDU noch recht, Deutschland ist ein Land, „in dem wir gut und gerne leben“: Der typische Großstadthaushalt umfaßt 1,7 Personen, wohnt auf 73 Quadratmetern Wohnfläche und zahlt eine Gesamtmiete von 550 Euro (Quadratmeterpreis 7,40 Euro). Die Mietbelastung beträgt nur 27 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens. Doch die Tendenz ist klar: Nur noch vier Prozent der Haushalte zahlen Bruttokaltmieten von unter fünf Euro, während fast zehn Prozent 10,50 Euro pro Quadratmeter und mehr zahlen müssen. Fast jeder vierte Haushalt muß inzwischen mehr als neun Euro hinlegen.

Wer zu den 2,9 Prozent der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von über 5.500 Euro gehört, hält das für ein Schnäppchen. Doch „rund 40 Prozent der Haushalte in Deutschlands Großstädten müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttokalt) zu bezahlen. Das entspricht rund 5,6 Millionen Haushalten, in denen etwa 8,6 Millionen Menschen leben“, so die Böckler-Experten. Gut eine Million Haushalte (mit 1,6 Millionen Menschen) in den 77 Großstädten müssen sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufwenden.

„Etwa 1,3 Millionen Großstadt-Haushalte haben nach Abzug der Mietzahlung nur noch ein Resteinkommen, das unterhalb der Hartz-IV-Regelsätze liegt.“ Momentan wird der Flüchtlingszustrom noch durch Container, Gemeinschaftsunterkünfte oder teuer angemietete Hotels vom Wohnungsmarkt ferngehalten, doch spätestens mit der Familienzusammenführung konkurrieren arbeitsmarktferne Syrer, Iraker oder Afghanen mit einkommensschwachen Deutschen, EU-Bürgern und länger hier lebenden Türken um die gleichen preiswerten Wohnungen – mit unabsehbaren Folgen.

Daß bei steigender Zuwanderung keine noch so ausgefeilte Mietpreisbremse hilft, spürt auch eine Klientel, bei der die „Willkommenskultur“ weiter großgeschrieben wird: die deutschen Studenten. „In Berlin ist die durchschnittliche Neuvertragsmiete (nettokalt) seit 2010 um mehr als 70 Prozent gestiegen und hat seit Beginn des Betrachtungszeitraums erstmals die Schwelle von zehn Euro je Quadratmeter überschritten“, heißt es im „IW-DREF-Studentenwohnpreisindex“. Das verwundert nicht: Das IW spricht von derzeit insgesamt 45.000 fehlenden Wohnungen in Berlin, die Böckler-Studie sogar von 130.000. Die Wachstumsraten in Stuttgart (+62,2 Prozent) und München (+53,1 Prozent) fallen zwar etwas geringer aus, aber sollte sich der Aufwärtstrend fortsetzen, „wird am derzeit teuersten deutschen Mietwohnungsmarkt in München bald die Marke von 20 Euro je Quadratmeter überschritten werden“. Der „stetige Zuzug in die Großstädte und die lediglich moderat ausgeweitete Bautätigkeit“ seien für die Studenten „ein schlechtes Signal, denn auch zukünftig dürften die Mieten weiter steigen“. Auch in einst preiswerten Städten wie Kiel (+35,3 Prozent), Bremen (+48,5 Prozent) oder Osnabrück (+42,9 Prozent) müssen Studenten tiefer in die Tasche greifen. Wer noch für unter 375 Euro wohnen möchte, sollte sich für ein Studium in Leipzig (327 Euro), Bochum (345 Euro) oder Siegen (371 Euro) entscheiden.

Gnadenloser Kampf um preisgünstigen Wohnraum

Die Mieten in Deutschland sind zwischen 2014 und 2016 im Schnitt um insgesamt 8,3 Prozent angestiegen, heißt es in einem im Juli erschienenen Bericht über die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft für das Bundeskabinett. An der Spitze der begehrten Metropolen liegt unangefochten München, wo der Quadratmeterpreis im Schnitt bei 15,65 Euro liegt. Doch der Regierungsbericht nennt neben dem Bevölkerungszustrom noch einen weiteren Punkt für die explodierenden Preise: Wohnraum sei als Geld­anlage attraktiver geworden – auch für ausländische Investoren. „Immobilien geraten immer stärker in den Fokus als Anlageobjekte für grenzüberschreitende Kapitalbewegungen.“ Die anhaltend niedrigen Zinsen hätten diese Entwicklung noch verschärft. Dennoch seien 2016 nur 278.000 neue Wohnungen fertiggestellt worden. Die Anstrengungen im Wohnungsbau müßten deutlich gesteigert werden, da es bis 2020 einen Bedarf von etwa 350.000 neuen Wohnungen jährlich gebe.

Auf dem „flachen Land“ liegen die Quadratmeterpreise hingegen teilweise bei nicht einmal einmal fünf Euro. Das liegt nicht nur an der arbeitsbedingten Abwanderung: In den ländlichen Kreisen wurden zwischen 2011 und 2015 ein Fünftel mehr Wohnungen gebaut als benötigt, was das IW an den Landkreisen Emsland, Steinfurt (NRW) und Vorpommern-Greifswald exemplarisch vorrechnet. Ähnliches droht laut IW mittelfristig insbesondere für Sachsen-Anhalt, Thüringen und das Saarland, wo die Wohnbevölkerung trotz bundesweiter Massenzuwanderung demographisch bedingt wahrscheinlich weiter abnimmt.

IW-DREF-Studentenwohnpreisindex:  www.iwkoeln.de/

„Wohnverhältnisse in Deutschland – eine Analyse der sozialen Lage in 77 Großstädten“

 www.boeckler.de