© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Der Journalismus „steht auf der Schwelle des Todes“
Türkei: Die verurteilte Journalistin Ayla Albayrak kritisiert internationale Medien / „Immun gegen das anhaltende harte Vorgehen der Türkei der Presse gegenüber“
Marc Zoellner

Mit solch dramatischer Wendung ihres Lebens hatte Ayla Albayrak nicht gerechnet, als sie im November 2015 ihr Istanbuler Appartement verlassen wollte. Ein Brief erwartete sie noch an der Wohnungstür, und in diesem die Bitte, sich umgehend auf dem nächsten Polizeirevier zu melden. Der Grund ihrer Vorladung schien lapidar: ein Zeitungsbericht vom August 2015, den die finnisch-türkische Journalistin, die seit 2010 im Istanbuler Büro des US-amerikanischen Wall Street Journals  (WSJ) arbeitet, online veröffentlicht hatte und welcher später von Dutzenden kurdischen Medien weiterverbreitet wurde.

Brisant war das Thema allemal. Ging es doch schließlich um den Konflikt zwischen der türkischen Staatsmacht mit der linksextremen PKK, die einseitig einen früher verhandelten Waffenstillstand aufgekündigt hatte. Ebenso ging es darum, daß Albayrak im Rahmen ihrer Recherche PKK-Mitglieder interviewt habe, reklamiert WSJ-Chefredakteur Gerard Baker. Der einzige Zweck dieses Artikels sei gewesen, objektive und unabhängige Berichte über die Vorgänge in der Türkei zu liefern.

Vergangenen Dienstag verurteilte ein Istanbuler Gericht die Journalistin wegen „Unterstützung einer illegalen Organisation“ in Abwesenheit zu 25 Monaten Haft. Albayrak, die derzeit wieder in New York lebt, kündigte bereits Berufung gegen den Urteilsspruch an. Hoffnungen auf Erfolg macht sie sich nicht. „Diese Gerichtsentscheidung“, erklärt Albayrak resigniert, „beweist erneut, daß selbst internationale Medien nicht immun sind gegen das anhaltende harte Vorgehen der Türkei der Presse gegenüber.“

„Der Journalismus in der Türkei steht auf der Schwelle des Todes“, weiß auch Kadri Gursel zu bestätigen. Über 330 Tage hatte der Cumhuriyet-Reporter aufgrund der ihm vorgeworfenen Nähe zur Gülen-Bewegung bereits im Gefängnis verbringen müssen. Letztere wird seitens der türkischen Regierung beschuldigt, hinter dem vereitelten Putschversuch vom Juli 2016 zu stehen. Gursel ist dabei kein Einzelfall. Allein für dieses Jahr zählt das Stockholm Center for Freedom (SCF) 255 verhaftete sowie 134 polizeilich gesuchte Journalisten in der Türkei .

Auch Deutsche befinden sich darunter: Der Welt-Autor Deniz Yücel ist einer von elf deutschen Staatsbürgern, die aufgrund ihres Engagements in der Türkei derzeit in Haft sitzen. Ebenso wie der Menschenrechtler Peter Steudtner und die aus Ulm stammende Journalistin Mesale Tolu. Auch hier erhebt die Staatsanwaltschaft den schweren Vorwurf der Unterstützung linksradikaler Terrorgruppen und Parteien. Bei einer Verurteilung droht den Angeklagten Haft von bis zu fünfzehn Jahren – angesichts der Zustände in türkischen Gefängnissen eine halbe Ewigkeit.

Seit Ende April ist die in Ulm geborene Journalistin Tolu bereits im Staatsgefängnis des Istanbuler Stadtteils Bakirkoy inhaftiert. Anonyme Zeugen hätten die Journalistin mehrfach auf Beerdigungen hochrangiger Mitglieder der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) gesehen, lautet die Anklage. Bei einer späteren Hausdurchsuchung hätten Beamte eine linke Zeitung in ihrer Wohnung gefunden. Der Verdacht liege demzufolge nahe, Tolu selbst sei Mitglied der MLKP. Diese Woche beginnt der Prozeß gegen Tolu sowie siebzehn weitere Mitangeklagte. Tolu selbst bestreitet jegliche Schuld. Doch ihre Verurteilung scheint bereits beschlossen