© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Alle Optionen offen
Österreich: Wahlsieger Kurz propagiert eine neue „politische Kultur“ / „Wer mit wem?“ ist nun die große Frage
Verena Rosenkranz

So viele Parteien wie noch nie sind am 15. Oktober 2017 in Österreich zur Nationalratswahl angetreten. Und mehr als die Hälfte der angetretenen Parteien verpaßten den Einzug ins Parlament, darunter auch die Grünen. Die in einigen Bundesländern mitregierende Partei fiel infolge einer internen Zersplitterung bei den vorgezogenen Neuwahlen um mehr als 8,5 Prozentpunkte  auf 3,8 Prozent ab und verpaßte den Sprung über die Vierprozenthürde. Daran änderte auch die Auszählung eines Großteils der traditionell eher linksgerichteten Briefwahlstimmen nichts. Acht Sitze im Nationalrat errang hingegen die zuvor abgespaltene Liste des Ex-Grünen Peter Pilz mit 4,3 Prozent. 

Strache feiert sein viertes „Blaues Wunder“ 

Bereits Wochen vor der Stimmabgabe zeichnete sich ein Kampf der Titanen zwischen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP neu, Liste Kurz) in den Medien ab. Mittels Charakterchecks, Durchhaltevermögen und Preisgabe privatester Details in den Boulevardmedien steckten diese eine regelrechte Wahlkampfarena ab und ließen dabei die Kleinpartei außen vor. 

Als große Gewinner der Abstimmung gingen Kurz und Strache hervor. Erstmals seit 2002 ist die ÖVP stimmenstärkste Partei und der 31jährige Kurz damit der jüngste designierte Bundeskanzler Europas. Seine Partei schaffte durch eine völlige Umstrukturierung 31,5 Prozent. Die neue ÖVP konnte den Stimmenanteil damit um über 7,5 Prozentpunkte steigern. Nun gehe es Kurz darum, „eine neue Kultur in Österreich zu schaffen“, wie er noch am Wahlabend sagte.

Die Freiheitlichen, die im Wahljahr 2013 noch auf rund 20 Prozent der Stimmen kamen, feierten mit 26 Prozent erneut ihr „Blaues Wunder“. Strache konnte seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2005 zum vierten Mal (2006: plus 1,02 Prozentpunkte; 2008: plus 6,5, 2013: plus 2,7) zulegen, verfehlte jedoch das bis dato beste FPÖ-Ergebnis aus dem Jahr 1999 (26,9 Prozent) knapp. Wir wollen eine „ehrliche Veränderung“, „abseits von Schwarz-Rot!“, machte der FPÖ-Chef zu den anstehenden Koalitionsverhandlungen klar. 

Die Roten kamen in Folge trotz der Turbulenzen rund um den amtierenden Kanzler Kern auf 26,9 Prozent der Stimmen. In einer ersten Reaktion gegenüber den Medien sah sich Kern bereits in der Opposition und warnte vor einer „Orbanisierung“ Österreichs, da sich im Wahlkampf nicht nur die FPÖ, sondern auch die ÖVP für eine stärkere Kontrolle der Zuwanderung aussprachen. Das kurz vor dem Wahlsonntag von der ÖVP geforderte Bekenntnis zur Europäischen Union und eine pro-europäische Haltung erfüllten hingegen alle bereits in vorauseilendem Gehorsam. Diskussionsbedarf dürfte es bei Koalitionsverhandlungen, wie so oft in der Alpenrepublik, wieder in puncto Zuwanderung und Migration geben. Zum Ende der Woche wird Kurz von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Regierungsbildung beauftragt werden, und die große Frage steht im Raum: Wer mit wem? In der Elefantenrunde hielten sich alle drei ihre Optionen offen.