© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/17 / 20. Oktober 2017

Tauziehen an der Leine
Landtagswahl Niedersachsen: Die zuletzt arg gebeutelten Sozialdemokraten sind stärkste Kraft geworden / Keine Mehrheit für Rot-Grün
Christian Vollradt

Balsam für die sozialdemokratische Seele gab es am Sonntag in Hannover genug. Es sei „ein großer Abend für die niedersächsische SPD“, ruft ein sichtlich zufriedener Ministerpräsident Stephan Weil seinen Genossen zu. Die rot-grüne Koalition ist zwar – knapp – abgewählt, er selbst aber hat gute Chancen, den Schreibtisch in der Staatskanzlei nicht räumen zu müssen. Ein bißchen wie Kanzlerin Angela Merkel hat er den kleineren Koalitionspartner neben sich aushungern lassen. Fünf Prozentpunkte verloren die Grünen, mehr als alle anderen Parteien im Land; dritte Kraft vor der FDP (7,5 Prozent) wurden sie dennoch. Doch selbst in ihrer Hochburg Göttingen, wo sie mit 20,2 Prozent das beste Ergebnis erzielten, fuhr die Partei satte acht Prozentpunkte weniger als bei der vorigen Landtagswahl ein. 

Daß das Land eher CDU, die Städte eher SPD wählen, gilt diesmal mit Einschränkungen. Die Hochburgen der Union liegen weiterhin im agrarisch (und katholisch) dominierten Westen. Im Wahlkreis Vechta gingen 57,5 Prozent der Zweitstimmen an die CDU – ein schwarzer Spitzenwert. Das rote Pendant ist Emden-Nord: Im stark vom Volkswagenwerk geprägten Wahlkreis fuhr die SPD 49,4 Prozent ein.  

Spitzenergebnisse für AfD in Salzgitter und Delmenhorst

Doch die Sozialdemokraten nahmen der CDU 22 Direktmandate ab. Alle 55 SPD-Abgeordneten sind mit der Erststimme gewählt, die Landesliste zieht nicht. Die Landeshauptstadt Hannover sowie der gesamte Südosten des Landes mit den regionalen Metropolen Braunschweig, Wolfsburg und Göttingen sind diesmal fest in SPD-Hand. Einzige schwarze Ausnahme in der roten Fläche: das katholische (westliche) Eichsfeld rund um Duderstadt, eine traditionelle CDU-Hochburg. 

Während die Linkspartei wie schon 2013 erneut an der Fünfprozenthürde scheiterte, schaffte die AfD den Einzug in den Landtag. Zwar blieb die Partei mit 6,2 Prozent hinter ihrem Landesergebnis bei der Bundestagswahl vor drei Wochen zurück, doch insgesamt zeigte man sich weitgehend zufrieden. „Das Ergebnis ist kein Grund zur Traurigkeit“, stellte Spitzenkandidatin Dana Guth am Montag fest und zeigte sich „stolz, in den Landtag eingezogen zu sein“. Neun Abgeordnete stellt die AfD künftig im Leineschloß von Hannover. Auch Parteichef Meuthen betonte, man habe mit keinem besseren Ergebnis gerechnet. Die Gründe dafür seien vielfältig. Zum einen habe der kurzfristig anberaumte, vorgezogene Wahltermin die Partei kalt erwischt. Der Übergang vom Bundes- zum Landtagswahlkampf sei fließend gewesen. Zum anderen hätten alle kleineren Parteien Einbußen erlitten, was an der starken Fokussierung auf das Duell zwischen SPD und CDU gelegen habe. Ein übriges hätten zudem die internen Querelen des Landesverbands getan: „Das nicht immer geschlossene Auftreten der Partei hat möglicherweise ein besseres Ergebnis verhindert“, formulierte Meuthen sibyllinisch (siehe Seite 4). Aber seine Partei habe die größten Zuwächse von allen zu verzeichnen. 

Am erfolgreichsten schnitt die AfD in Salzgitter und Delmenhorst ab; beides Wahlkreise mit hohem Migrantenanteil. Noch kurz vor der Wahl hatte die rot-grüne Landesregierung mittels einer „lageangepaßten Wohnsitzauflage“ entschieden, daß keine Asylbewerber mehr nach Salzgitter ziehen dürfen. Mehr als fünf Prozent der etwa 106.000 Einwohner dort sind inzwischen Flüchtlinge, allein im vergangenen Jahr kamen laut Verwaltung 2.000 anerkannte Asylbewerber – zumeist Syrer – in der Industriestadt an. Salzgitters Oberbürgermeister Frank Klingebiel (CDU) hatte daraufhin mit einem Brandbrief an Ministerpräsidenten Weil um eine „Atempause“ ersucht. 

Unterdurchschnittlich blieben die AfD-Werte dagegen in den Regionen mit einer ausgeprägt katholisch-konservativen Prägung wie etwa in Lingen, Meppen oder Cloppenburg, wo die Partei zum Teil sogar unter der Fünfprozenthürde blieb. Auf die Frage, ob sich dies auf die programmatische Ausrichtung der AfD auswirke, antwortete Gauland am Montag, die Partei müsse sowohl die bürgerliche Reformpartei jenseits der CDU bleiben, als auch den Kontakt zu „Volksbewegungen“ halten:„Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.“

Auch wenn rechnerisch eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition möglich wären, halten Beobachter eine Große Koalition von SPD und CDU für das Wahrscheinlichste. FDP-Chef Stefan Birkner hatte wiederholt eine Ampel ausgeschlossen. Die Grünen dagegen lehnen ein Jamaika-Bündnis in erster Linie aus Abneigung gegen die Union ab. Deren Spitzenkandidat meinte bereits am Wahlabend, auch seine Partei – obschon nicht mehr stärkste Kraft wie noch 2013 –  habe „einen klaren Gestaltungsauftrag für Niedersachsen – in welcher Konstellation auch immer“.